Rezension zu "Die Farbe der Nacht" von Madison Smartt Bell
Mae Chorea, eine Frau irgendwo zwischen fünfzig und sechzig, verdient ihren Lebensunterhalt als Croupière in einem Kasino nahe Las Vegas. Nach Schichtende streift sie hinter dem Trailerpark, in dem sie lebt, nachts stundenlang mit ihrem Präzisionsgewehr durch die Wüste. Um sich zu verlieren, sich abzureagieren und mit ihrer Vergangenheit fertig zu werden, die so grauenhaft ist, dass es für drei gereicht hätte. Und genau diese breitet sie selbst in diversen Rückblenden vor dem Leser aus. Ihre ziemlich bescheidene Kindheit in irgendeinem Sumpfgebiet mit verständnislosen Eltern und einem psychopathischen älteren Bruder lässt sie schon in jungen Jahren erstarren und hart werden. Später schließt sie sich einer Hippie-Kommune im kalifornischen outback an, in der ein charismatischer Guru seine fast ausschließlich weiblichen Jüngerinnen nach allen Regeln der Kunst missbraucht. Dort lernt sie dann auch Laurel kennen, eine vermeintlich naive junge Frau, zu der sie eine intensive sexuelle Beziehung unterhält. Als die ganze Truppe irgendwann durchdreht und kriminell wird, können die beiden Frauen flüchten und ihre Wege trennen sich. Jahrzehnte später erkennt Mae ihre Geliebte auf den Fernsehbildern von 9/11 wieder. Als eine Kontaktaufnahme zu ihr scheitert, schnappt sie sich ihr Gewehr und bricht auf nach New York. Und das mit festen Absichten.
Ein Buch, randvoll mit Sex, Brutalität und menschlichen Abgründen legt der Autor hier vor. Aber es ist mehr. Es ist die Geschichte des von Anfang an verkorksten und gescheiterten Lebens einer Frau, die sich sowohl aufgrund ihrer genetischen Polung wie aufgrund ihrer Lebensumstände zu obsessiver Gewalt -auch an sich selbst- als einzigem Überlebensmittel bekennt und dies, je weiter die Dinge voran schreiten, auch immer exzessiver auslebt. Eine Person, die keinen Respekt mehr vor dem Leben kennt und sich außerhalb der Gesellschaft stehend empfindet. "Sterbliche" nennt sie die Menschen um sich herum, aber was ist sie selbst? Das darf der Leser tunlichst selbst zu ergründen versuchen. Gelegenheiten, in ihren wirren verquasten Kopf zu schauen, bietet sie ihm wahrlich genug.
Mein Eindruck ist etwas zwiespältig. Die Lebensgeschichte und Persönlichkeit der Protagonistin wird grandios, mit voller Wucht und ohne Rücksicht auf Verluste ausgebreitet. Dennoch bleibt sie in ihrem Denken und Handeln, so interessant sie auch sein mag, suspekt und nicht nachvollziehbar, gewinnt auch einfach nicht so etwas wie tragische Züge, die das Ganze irgendwie erklärbarer und nachvollziehbarer machen könnten. Was bleibt, ist einfach zuzusehen, wie eine Frau so schicksalhaft wie selbstverschuldet ihr Leben ruiniert und vor die Hunde geht.
Der erzählerische Stil und die Sprache des Autors überzeugen, schießen allerdings manchmal in ihrer Drastik übers Ziel hinaus. Was allerdings stört und für mich einen Stern Abzug kostet, ist, wie unverblümt und bis in tiefste Einzelheiten der Autor in seinem Werk die tatsächlichen Begebenheiten um Charles Manson und seine family, die an gleicher Stelle wie im Buch Ende der Sechziger ihre grauenhaften Morde begingen, einfach abkupfert. Das hätte er eigentlich gar nicht nötig gehabt.
Insgesamt aber ein starkes, außergewöhnliches Leseerlebnis. Allerdings nichts für zarte Gemüter.