Seit September 2023 erscheinen im Rowohlt Verlag in der Reihe „Entdeckungen“ Werke von Autorinnen, die vergessen wurden. Vergessen aus vielen Gründen, vor allem aber wohl auch deshalb, weil ihre Erschafferinnen Frauen waren. Wieder-entdeckt und herausgegeben werden diese Bücher von zwei Frauen, die sich seit geraumer Zeit mit der Tatsache, dass Autorinnen es nicht nur schwerer hatten (und immer noch haben), was die Veröffentlichung ihrer Werke angeht, sondern auch damit, dass gerade diese Werke und mit ihnen naturgemäß auch ihre Erschafferinnen dem Vergessen anheim gegeben werden: Magda Birkmann und Nicole Seifert.
Ein paar dieser Romane habe ich bereits gelesen und bin jedesmal wieder erstaunt, wie wenig sich doch gesellschaftlich an der Relevanz der angesprochenen Themen bisher verändert hat. Mit dem Roman „Man spricht über Jacqueline“, den die später in den USA als Martha Albrand bekannte Schriftstellerin unter einem ihrer vielen Pseudonyme als Katrin Holland 1926 veröffentichte, ist nun der achte Band der überaus bermerkenswerte Reihe erschienen.
Die Figur der Jacqueline, die von allen nur Jack genannt wird, ist das, was seit den 1920er Jahren in den USA Flapper genannt wird. Eine junge Frau, die frei wie ein Schmetterling von Mann zu Mann flattert, die Grenzen des „Anständigen“ überschreitet und sich keine Grenzen auferlegen lassen will. Jack ist mit ihrer jüngeren Schwester nach dem Tod der Mutter in einem Kloster aufgewachsen und lebt nach der Volljährigkeit, materiell abgesichert, ganz frei und ohne Zwänge. Sie genießt alles in vollen Zügen, während ihre jüngere Schwester (noch) vor allem an der eigenen Bildung interessiert ist.
Die gebrochenen Männerherzne, die Jack hinterlässt, mehren natürlich einen gewissen Ruf, der Jack dann einholt, als sie sich unsterblich und tatsächlich zum ersten Mal verliebt. Michael ist ein Mann mit genauen Vorstellungen von und Ansprüchen an eine potentielle Partnerin. Er selbst war verheiratet, seine erste Frau konnte diesen Ansprüchen nicht genügen – so sollen Frauen in Michaels Augen doch das genaue Gegenteil von dem sein, was Jack verkörpert. Was für ein Glück, dass Jacks Schwester sich überreden lässt, sich für sie auszugeben, so dass Jack selbst die Makellose spielen kann.
Das uralte Spiel des sich Anpassens an die Vorstellung des angebetenen Menschen beginnt und – wir ahnen es – es kann nicht gut gehen, denn damit es gut gehen könnte, müssten beide Beziehungspartner Kompromisse ein- und aufeinander zugehen. Hierzu sei auf den fundierten und Beitrag zu Hollands Roman auf Nicole Seiferts Blog verwiesen. Während also Jack sich den Wünschen Michaels unterwirft, ohne ihn das merken zu lassen, verharrt Michael in seinen Vorstellungen wie eine Frau, „die er lieben könnte“ zu sein hat. Ein Snobist nicht nur in Liebesdingen, ein Vertreter der „alten Schule“ im Angenehmen, wie im Kleinkarierten. Er muss sich nicht bewegen, er kann, er will sich nicht bewegen. Was ist das für eine Liebe? Wohl eher Eigenliebe, als alles andere.
Jack hingegen passt ihr Verhalten zunächst immer mehr an Michaels Bild von ihr an – doch als dann auch noch ihre Schwester auf den Plan tritt, wird das Verwirrspiel noch komplizierter. Denn als die tatsächlich bisher so tugendhafte Schwester auf Michael trifft, verändert sich auch deren Blick auf ihr eigenes Gefühlsleben. Michael hingegen, der zunächst davon ausgeht, dass die kleine Schwester – schon erstaunlich, wie wenig er tatsächlich hinter die Fassaden blicken will – die ja tatsächlich ihre Studien aufgenommen hat (oder halt, das passt ja durchaus ins Bild: Eine junge Frau, die ihr Leben in Liebes- und Bildungsdingen frei leben will und damit damit Unabhängigkeit erlangt) das ist, was in der Literatur der Weimarer Republik als „Girl“ bezeichnet wurde, versucht aus Liebe (?) zu seiner Frau nun auch deren Schwester auf den Pfad der Tugend zu führen. Eine gewisse Anziehung wird von beiden Seiten spürbar und kurz dachte ich, Holland lässt Michael sein Herz wirklich spüren, doch sie ist glücklicherweise nicht in diese Falle getappt und hat mit ihrem Roman etwas hinterlassen, das auch heute noch Gültigkeit hat. Versuchen doch viele junge Menschen auch heute noch, den oder die Angebetete für sich einzunehmen, indem sie sich anders geben, als sie tatsächlich sind.
Mit Katrin Holland habe ich Autorin entdeckt, die mich über diesen Roman hinaus beeindruckt hat. Wieder einmal geine großartige Entdeckung.