Ein absolut interessantes kleines dünnes Buch habe ich hier gelesen, welches mir sehr gefallen hat. Eine Geschichte über das Verschwinden eines Mädchens aus einer Familie und über das, was dieser Verlust mit den verbliebenen Familienmitgliedern macht. Dabei sind aber die Beschreibungen der Charaktere definitiv ein Highlight in diesem Buch, die Autorin Maike Wetzel hat sich definitiv mit dem Thema Verlust auseinandergesetzt und Charaktere erschaffen, die ans Herz gehen, aber nie schmalzig sind. Sondern eher Gedanken verkörpern, die den Leser fordern, den Leser zwingen sich mit einem düsteren Kapitel zu beschäftigen. Aber letztendlich kommen diese Charaktere recht real rüber und beschreiben ein Procedere, welches man niemandem wünscht, ein Procedere, welches mich in seiner Wortgewalt tief beindruckt hinterlässt und sicher noch einige Zeit nachhallen wird. Die Geschichte ist sehr spannend geschrieben, man kann dieses Buch kaum wieder weglegen. Dunkel, düster, und intensiv sind passende Beschreibungen für die Geschichte und genauso kann man auch die Gefühle umschreiben, die eine beim Lesen durch den Kopf fegen. Und die Autorin schafft es trotz ihres etwas abgehackt wirkenden Sprachklangs tiefe und sehr berührende Gefühle in mir zu erwecken. Dies ist etwas was ich gerade bei deutschsprachigen Autoren oft etwas vermisse, hier aber bei diesem Buch/bei dieser Autorin sehr intensiv serviert bekomme und auch deshalb bin ich absolut begeistert. Dann empfinde ich auch die Zeichnung der Charaktere als recht glaubhaft und mich tief berührend und die Geschichte wegen ihrem etwas verstörenden Grundton durchaus auch etwas gewagt. Wegen diesen beiden Punkten kann man der Autorin nur gratulieren und ich kann sagen, dass ich diese Autorin im Auge behalten werde. Und zu diesem Buch kann ich nur sagen, bitte unbedingt lesen!
Maike Wetzel
Lebenslauf
Alle Bücher von Maike Wetzel
Elly
Lange Tage
Hochzeiten
Entfernte Geliebte
Schwebende Brücken
Die Katze
Meine Zeit
Neue Rezensionen zu Maike Wetzel
Elly ist verschwunden, eine Elfjährige, auf dem Weg zum Sportunterricht. Was hier als bedrückende Geschichte geboten wird, möchte niemand in der Realität selbst erleben müssen. Hier zeigt die Autorin auf knappen Seiten, dicht geschrieben und in der Perspektive stets wechselnd, was eine solche Situation mit den Zurückgebliebenen macht. Selbst die Randfiguren überzeugen, ihre eingeworfenen Gedanken belasten und verstärken nur die düstere Atmosphäre. Dass ich das Buch trotz des Themas nicht aus der Hand legen konnte, lag am steten Strom des Geschehens, immer war es spannend weiterzulesen, die Widrigkeiten im Leben der Familienmitglieder waren greifbar, all das Elend müsste doch ein Ende finden - so oder so. Das Wechselbad der Gefühle erlebt man als Leser direkt mit, man schaut gar nicht so sehr von außen auf das Geschehen, sondern er- und durchlebt alles mit. Das macht betroffen, hinterlässt einen trüben Leser, der die Geschichte und Bilder nicht ohne weiteres abschütteln kann.
Der Anfang: »Diese Geschichte ist nicht meine Geschichte. Ich bin nicht sicher, wem sie gehört. Sie liegt auf der Straße, sie schläft in unserem Haus und trotzdem ist sie mir immer einen Schritt voraus. Wenn ich diese Geschichte nun aufschreibe, ist das ein Versuch, sie zu bannen.«
Bereits die ersten Sätze ziehen den Leser hinein in die Geschichte. Alles beginnt im Krankenhaus und hier geht es um Macht, um Manipulation – Kinder unter sich – hier wird geklärt, wer das Zepter in der Macht hält. Ein Vorspiel auf das, was nun folgen wird. Eine Erzählung, die bis zur letzten Seite nicht loslässt.
Ein familiärer Albtraum – Ein Kind verschwindet spurlos, eine Schwester. Eine Bilderbuchfamilie in Schockstarre. Eine Elfjährige fährt mit dem Fahrrad zum Sport und kommt dort nicht an. Das kann nicht sein, darf nicht wahr sein. Doch sie bleibt verschwunden. Wie verändert sich die Familie, wie verändern sich die Beziehungen untereinander und was geschieht mit dem verbliebenen Kind, der Schwester?
»Ich war die große Schwester und erklärte Elly auch im Urlaub, was sie zu tun und zu lassen hatte. Wir bauten Hütten aus Zweigen und legten uns darin schlafen. Unsere Eltern fanden uns erst nach Sonnenuntergang. Sie waren nicht beunruhigt damals, nur amüsiert.«
Worst Case, mit dem Tod kann man abschließen, aber nicht mit dem Unfassbaren, dem Nichts. Gedanken darüber was passiert sein kann, Hoffnung, es ist nicht das Ende. Judith und Hamit, die Eltern, Ines, die ältere Schwester, jeder ist in seiner Trauer letztendlich allein, in seiner Hoffnung – dem Abschließen. Maike Wetzel wechselt die Perspektive, die Familienmitglieder kommen zu Wort, der analytische Vater, die Tochter, die sich nicht mehr wahrgenommen fühlt, eine sich auflösende Mutter. Wie reagiert die Gesellschaft? Die Eltern werden verdächtigt. Hält die Familie zu ihnen? Was löst ein solches Ereignis aus in der Beziehung zwischen allen Beteiligten?
»Heimlich bin ich wütend auf meine Schwester. Sie nimmt mir alles weg. Ich habe kein Recht, fröhlich zu sein, wenn meine Schwester leidet, wenn sie vielleicht tot ist, wenn sie allein in einen Kerker gesperrt, vergewaltigt, ohne Sonne, ohne vernünftige Nahrung vegetiert. Elly ist weg. Es gibt nichts anderes, was zählt.«
Die Sprache ist knapp, die Geschichte eine Essenz, die Autorin konzentriert sich auf wesentliche Punkte, aber hier schlägt sie zu, hier trifft die Sprache, den Leser wie eine Faust. Maike Wetzel serviert uns Puzzleteile, passend, denn es sind Splitter im tiefen Schweigen, in der Betäubung, Schweigen besteht aus Stille, schreibt die Autorin. »Elly ist weg«, ein Satz, der sich durch den ganzen Roman zieht, sich ständig wiederholt, das zentrale Leid.
»Elly ist fort. Wir haben noch Ines. Ich hoffe, sie bleibt.«
Präzise Sprache, fein gewebt, atmosphärisch dicht, ein kleiner Roman mit nur 148 Seiten, große Schrift, Passagen, die mich immer wieder die Luft anhalten ließen und ein Roman, der am Ende eine Überraschung bereithält. Stille – Schweigen, aber alles ist in Bewegung, und sei es nur am Rande, der Vater ist Ingenieur für Rolltreppen, und in diesem Buch steht rein gar nichts still. Im ersten Augenblick scheint das zentrale Thema dieses Buchs Verlust zu sein. Aber wer genau hinsieht, erkennt dahinter das große Thema: Manipulation. Das verwebt die Autorin auf viele Art und Weise und sei es nur in kleinen Andeutungen. Innenperspektive, Außenperspektive, der Leser bekommt eine andere Wahrnehmung der Figuren. Und da ist Hamit, der Vater, der nicht mal Arabisch spricht, seinen Namen nicht richtig aussprechen kann, mit dem kehligen Halslaut, der behauptet, er sei Grieche, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Sein Aussehen, sein Name, die Lüge liegt sofort auf dem Tisch. Kann man so einem trauen?
»Ich erfinde mich, ich spiele mich, täglich neu. Ich erzähle, um zu leben. Was stört, töte ich ab. Ich lausche auf die Herzen und erzähle den Menschen dann, was sie hören wollen. Ich lulle sie ein.«
Vier Jahre später: In Dänemark wird am Strand eine verstörte, verwahrloste Jugendliche aufgegriffen. Die Beschreibung passt auf Elly. In der Entwicklungszeit verändert sich das Aussehen, in diesem Fall besonders, denn ein Kind, das missbraucht wurde, in Gefangenschaft gehalten, hat Schlimmes durchgemacht. Ist dieses verängstigte Wesen Elly? Wer soll es sonst sein, alles wird gut. Der Leser ist beruhigt ...
Maike Wetzel studierte an der Münchner Filmhochschule und in Großbritannien, arbeitet als Drehbuchautorin und Schriftstellerin. Für ihr Romandebüt »Elly« erhielt sie den Robert Gernhardt Preis und den Martha Saalfeld-Preis. Ihre Erzählungen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet.
Gespräche aus der Community
Liebe Leserinnen und Leser,
wir laden Euch herzlich ein, an unserer Leserunde zu Maike Wetzels Roman »Elly« teilzunehmen. Damit Ihr Euch von dem Buch einen Eindruck machen könnt, ist hier ein kleiner Vorgeschmack:
Elly ist weg. Eines Tages verschwindet die Elfjährige spurlos aus dem Leben ihrer Familie. Die Eltern und Ellys ältere Schwester bleiben zurück und versuchen trotz des Verlustes weiterzumachen. Doch die drei können nicht loslassen, Elly bleibt allgegenwärtig, in Gedanken, Taten und Schuldgefühlen. Jeder spielt den Tag, nach dem nichts mehr war wie zuvor, unablässig im Kopf durch. Die Suche nach Elly hört nicht auf, alle Beteiligten schaffen sich ihren eigenen Ersatz für das Verlorene.
Falls dieser Auszug des Klappentextes Eure Neugierde geweckt hat, könnt Ihr Euch für die Leserunde und ein Leseexemplar bewerben. Dazu müsst Ihr nur eine Frage beantworten: Habt Ihr schon einmal einen Roman gelesen oder Film gesehen, der vom Plot ähnlich ist?
Wir sind auf Eure Antworten gespannt!
Liebe Grüße und viel Glück wünscht Euch Euer
Verlag Schöffling & Co
PS: Eine Leseprobe zum Buch findet Ihr hier.
Zusätzliche Informationen
Maike Wetzel wurde am 29. September 1974 in Groß-Gerau, Hessen (Deutschland) geboren.
Maike Wetzel im Netz:
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