Rezension zu "Rudolf Hess" von Manfred Görtemaker
Wer wie ich nicht weit von Wunsiedel weg wohnt, verbindet den Namen Rudolf Hess wohl vor allem mit Neonazi-Aufmärschen, die hier jahrzehntelang stattgefunden haben. Was es jedoch genau mit diesem Mann auf sich hat, der doch eigentlich Landesverrat begangen hatte, war lange Zeit eher nebulös für mich. Daher freute es mich sehr, dass ich in eine aktuelle Biografie hineinschnuppern konnte.
Diese kommt mit ca. 750 Seiten daher und scheint so auf den ersten Blick schon mal recht umfangreich. Und tatsächlich: Autor Manfred Görtemaker beschreibt das Leben von Hess akribisch von der Geburt bis zum Tod. Dabei geht er so detailverliebt vor, dass das Lesen aufgrund der vielen Fußnoten teilweise schon arg unübersichtlich wurde.
Doch der Autor hat nicht nur einfach eine Biografie geschrieben – er schildert anhand der Person Hess viele politische Zusammenhänge und Vorkommnisse, so dass sich das Buch stellenweise eher wie ein Überblick über die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts liest als die Biografie eines einzelnen Menschen.
Obwohl Görtemaker lange und intensiv recherchiert hat, bleibt die eigentliche Hauptperson kurioserweise jedoch ziemlich blass charakterisiert. Viele historische Fakten sind natürlich bekannt und können praktisch genau so auf Wikipedia nachgelesen werden, aber was ist der eigentliche Antrieb von Hess? So wirklich konnte ich das alles nicht nachvollziehen. Erst wollte er seine Mutter zufrieden stellen, dann seine spätere Ehefrau – aber sonst? Hier hätte ich mir deutlich mehr Einblick erhofft, v. a. da der Autor Zugang zu einem umfassenden Schriftverkehr gehabt hatte.
Mein Fazit: interessantes Werk um sich einen zeitgeschichtlichen Überblick über komplexe politische Zusammenhänge zu verschaffen, ansonsten aber eher holprig zu lesen.