Rezension zu "Folter" von Manfred Nowak
"Auch wenn unser Verstand die Qualen der Folter nicht wirklich zu erfassen vermag und unsere Vorstellungswelt sie deshalb unwillkürlich in das weit entfernte Mittelalter oder in den emotional ebenso wenig fassbaren Nationalsozialismus oder zumindest in ferne Kontinente unseres Planeten zu verbannen trachtet, so zeigen unsere Untersuchungen, dass die Folter zur alltäglichen Routine der Polizei im Großteil der Staaten des 21. Jahrhunderts gehört." (S.9)
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Der Autor Manfred Nowak war von 2004 bis 2010 UN-Sonderberichtserstatter über Folter und beschäftigt sich darüber hinaus bereits seit etwa 35 Jahren mit dieser Thematik. Weltweit hat er in vielen Staaten die Folter- und Haftbedingungen untersucht und vor Ort mit Tätern, Zeugen und Opfern gesprochen. Was er bei insgesamt 18 offiziellen Untersuchungsmissionen ans Tageslicht führte, übersteigt bei weitem unsere Vorstellungskraft: Menschen werden geschlagen, getreten, angeschossen und mit starken Verletzungen, abgefaulten Gliedmaßen sowie lebensgefährlichen Entzündungen sich selbst überlassen, sie werden gefesselt, mit Schlafentzug, Lärm, Dunkelheit, Nacktheit, langer Einzelhaft und dem Verharren in Stresspositionen psychisch gefoltert. Viele der Opfer schildern, dass nicht die Folter das Schlimmste sei, was sie zu ertragen hätten, sondern die allgemeinen Bedingungen in der Haft: dunkle, dreckige, vollkommen überfüllte Zellen oder keinerlei Beschäftigung, geschweigedenn soziale Kontakte in der Isolierhaft. Oft geschieht es, dass die 2-Tages-Frist für die Polizeihaft über Wochen, Monate oder sogar Jahre überzogen wird, Menschen regelrecht vergessen und in schrecklichen Zuständen zurückgelassen werden: Keine Toiletten, keine Duschen, nur harter Stein zum Schlafen und wer keine Verwandte oder Freunde hat, die ihm Essen bringen, muss es sich von Mithäftlingen erbetteln.
Vom Ideal der Rehabilitierung und Resozialisierung der Häftlinge sind viele Staaten weit entfernt, ihr Hauptziel liegt vielmehr in der Vergeltung. Hierbei ist vielerorts irrelevant, wer tatsächlich schuldig ist. Jemand, der unschuldig verhaftet wurde, hat kaum eine Chance auf Gerechtigkeit, da er frei nach dem Motto "A little bit of torture helps" ("Ein klein wenig Folter hilft") so lange misshandelt wird, bis er die Tat trotz Unschuld gesteht. Nur allzu gerne werden diese Misshandlungen mit der Aussage gerechtfertigt, dass schließlich nur jene Häftlinge gefoltert würden, die lügen.
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"Gefängnismauern dienen nicht nur dazu, Häftlinge wegzusperren, sondern auch dazu, die Gesellschaft daran zu hindern, sich mit dem Schicksal von Häftlingen auseinanderzusetzen." (S.221)
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Im ersten Teil des Buches erklärt der Autor ausführlich, was genau man sich unter der Arbeit als Sonderberichtserstatter vorzustellen hat, wie eine unabhängige Untersuchung der Folter möglich ist und welche Bedingungen dabei an die Staaten, die sich zu solch einer Untersuchung bereit erklären, gestellt werden. Unter anderem geht er auch den Fragen nach, was unter Folter überhaupt zu verstehen ist, wie im 21. Jahrhundert gefoltert wird und ob diese Misshandlungen jemals gerechtfertigt sein können. Im Anschluss werden die Untersuchungsergebnisse der Folter- und Haftbedingungen in insgesamt 19 Staaten einprägsam geschildert, wobei Nowak betont, dass es ihm nicht darum geht, die jeweiligen Regierungen an den Pranger zu stellen, sondern vielmehr darum, "die Ursachen und Mechanismen der Alltäglichkeit der Folter verstehen zu lernen [...] und Wege auf[zu]zeigen, wie Folter verhütet und vielleicht sogar eines Tages wirklich ausgerottet werden kann." (S.10)
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Zusammengefasst ein grandioses und wichtiges Fachbuch, das aufrüttelt und berührt, eindrücklich und leicht verständlich geschrieben ist und auf gerade mal 234 Seiten eine unvorstellbar große Menge an fundierten Informationen gibt. Eine klare Leseempfehlung!