Rezension zu "Menschen am Sonntag" von Manuele Fior
Der junge Italiener Fausto will zurück in seine Heimat. An seinem letzten Abend in Berlin macht er sich auf den Weg ins "Loch", einen Untergrund-Club in der Rigaer Straße. Dort warten seine italienischen Freunde und seine zwei Ex-Freundinnen Alice und Nina, um ihn zunächst mit einem Essen zu verabschieden. "Wir sind das klassische Grüppchen von Italienern im Ausland, das sich zum Spaghetti Kochen trifft.", heißt es auf einer der schönen und schnörkellosen Schwarz-Weiß-Zeichnungen.
Zwischen Aufbruchsstimmung und Abschiedsschmerz
Hin- und hergerissen zwischen Aufbruchsstimmung und Abschiedsschmerz läuft Fausto die vertrauten Straßen seines Viertels entlang, findet das "Loch" und verbringt schließlich die letzten Stunden mit seinen Kameraden. Nina versucht ihn zum Bleiben in Berlin zu überreden, doch Faustos Entschluss steht fest. Sein Bus geht am nächsten Mittag, ein Sonntag. Und er muss noch packen. "Jetzt will er aufbrechen, damit sein Leben einen neuen Weg einschlagen kann. Einen Weg, der sich nicht mehr mit dem von Alice oder Nina kreuzt. Diese schmerzhafte Schnittstelle mehrerer Geraden, die zufällig aufeinander getroffen waren, hatte seine Jugend beendet – es erschien ihm wie ein grausames Spiel des Schicksals ... Eines Schicksals, das alte Träume wieder zum Leben erweckt, um sie noch einmal zu zerstören!" Doch Nina schafft es, dass Fausto in den frühen Morgenstunden mit zu ihr kommt und sie ein letztes Mal miteinander schlafen.
Mit dem "Rettungsboot" durch Großstadtschluchten
Hinreißend wird die Route der Nachtlinie 20 vom Friedrichshain zum Prenzlauer Berg visualisiert. Vorbei an den Türmen des Frankfurter Tors bahnt sich das volle "Rettungsboot" für Nachtschwärmer durch die Großstadtschluchten.
Als Fausto Nina wenige Stunden später verlässt, vergisst er seine Fahrkarte nach Italien in ihrer Wohnung. Und obwohl sie wütend über Faustos Abreise ist, schwingt sie sich aufs Fahrrad und bringt ihm das Billett. Zu spät, denn der Bus ist schon weg. Allerdings ohne Fausto. Die beiden nehmen ein Taxi zurück in die Stadt. Das Ende bleibt offen und wird vom Taxifahrer eingeleitet. "Man fährt nicht an einem Sonntag los, mein Junge." Erst recht von Berlin.
Liebevoll gezeichnetes Berlin-Friedrichshain
"Menschen am Sonntag" ist das gelungene Debüt des 1975 in Cesna, Italien geborenen Manuele Fior. Die Graphic Novel mit Berliner Lokalkolorit ist angefüllt mit stimmungsvollen Szenarien sowie eindringlichen Mono- und Dialogen. Auf 48 Seiten begleitet der Leser zwölf Stunden den Helden Fausto durch das liebevoll festgehaltene Berlin-Friedrichshain. Fior hat Architektur studiert und mittlerweile drei weitere Comicromane veröffentlicht, unter anderem "Fräulein Else" nach dem Roman von Arthur Schnitzler.
Das "Loch" ist zu
Übrigens: "Das 'Loch' in der Rigaer Straße 83 a wurde 2007 leider zugemauert, nachdem im Haus der Dachstuhl brannte und somit alle Bewohner, die teilweise keinen Mietvertrag hatten, ausziehen mussten", sagt eine junge Anwohnerin auf Anfrage. Tja, das ist Berlin: Ein Club schließt, ein anderer öffnet, Menschen kommen und gehen, verwandeln die Stadt und gestalten sie mit. Das nennt man Leben.