Rezension zu "Lasst mich da raus" von María Sonia Cristoff
"An manchen Tagen hat sie den Eindruck, ihre Beobachtung verwandle sich tatsächlich in reine Betrachtung. Dann sitzt sie auf ihrem Aufseherstuhl und starrt stumm und vollkommen reglos vor sich hin, gegen jegliche äußere Einwirkung gefeit. Als könne ihr Experiment gelingen, zumindest zeitweilig sieht es wirklich so aus. Nicht immer, aber an manchen Tagen glaubt sie daran, ja, es klappt."
Eine Frau bricht aus. Sie will nicht mehr Dolmetscherin sein. Sie will nicht mehr die hohlen Worte aller möglichen "Mächtigen der Welt" übersetzen. Sie will nur noch ihre Ruhe. Sie will nicht mehr sprechen. Sie will schweigen. Sie zieht in einen kleinen ruhigen Ort in der Provinz Buenos Aires. Dort arbeitet sie in einem seltsamen historischen Museum als Saalaufseherin. Sie sitzt auf ihrem Stuhl und ist von leblosen Ausstellungsstücken umgeben, die wenigen Besucher stellen selten Fragen. Wie viele und welche Arten des Schweigens es gibt, erfährt der Leser aus dem "Handbuch der Rhetorik", welches offenbar von Mara im Laufe ihrer Übersetzertätigkeit selbst verfasst wurde - und das ihr schließlich den Job kostet.
"...seinerzeit, also an dem Tag, als sie bei dem berühmt-berüchtigten Gipfeltreffen kurzerhand darauf verzichtete zu übersetzen, was der große Philanthrop mitzuteilen hatte, um stattdessen ein Kapitel aus ihrem Handbuch vorzulesen. Sehr weit kam sie allerdings nicht, schon nach exakt sieben Minuten zerrten Wachleute sie aus der Kabine und führten sie hinaus. [...] Wirklich schade, denn diese sieben Minuten zählen zweifellos zu den glücklichsten ihres Lebens."
Doch lange scheint es nicht gut zu gehen mit dem "Genügsamkeitsprojekt", dass Mara sich für dieses Jahr vorgenommen hat. Zwar hält sie sich bis auf eine Kollegin, Laura, die ihr ans Herz wächst, und Ringo, dem Gemüselieferanten, möglichst alle Menschen vom Hals und kümmert sich lieber darum, einen Blumengarten anzulegen. Doch wird sie überraschenderweise "befördert" und zur Assistentin eines Tierpräparators ernannt. Dieser hat den Auftrag, die Hauptattraktion des Museums, zwei ausgestopfte Pferde, zu restaurieren. Doch Mara fühlt sich auf Dauer durch dessen Geschwätzigkeit derart gestört und sieht ihr Projekt in Gefahr, so dass sie überlegt mit welchen Mitteln sie ihren Ruhezustand wieder herstellen kann. Langsam aber sicher entwickelt sie einen gut durchdachten Plan...
Ich mag dieses Buch sehr! Ich mag diese spritzige Sprache, die skurrilen Ideen!
Cristoff hat da ein Kleinod geschaffen, wie es immer seltener in der Literatur zu finden ist. Auf nur 150 Seiten erschafft sie eine Welt, die schräg und doch glaubhaft ist an einem solchen Ort - und sie schafft es, dass ich mich wie eine Verbündete ihrer Protagonistin fühle. Vielleicht, weil der Schauplatz das für mich mystische und ferne Südamerika ist? Vielleicht, weil auch in mir manchmal der dringende Wunsch auftaucht etwas, wie Mara sagt, "gegen den Strich zu bürsten"?
Der Roman ist auch in bibliophiler Hinsicht ein Schmuckstück mit Leinenrücken und Fadenheftung und erschien im Berenberg Verlag.