Rezension zu "Die Assistentin des Sisyphus: Landschaft einer Anderen" von Marbie Stoner
Cornelia_Ruoff„Die Assistentin des Sisyphus: Landschaft einer Anderen“ von Marbie Stoner
1. Klappentext
Katharina, Einzelgängerin, 29 Jahre und Motorradfahrerin, ist Krankenschwester mit einer speziellen Persönlichkeit in ungewöhnlicher seelischer Landschaft. In emotionaler Abhängigkeit steht sie unter dem Einfluss ihrer lesbischen Schwester Florentine, einer Staatsanwältin am Frankfurter Amtsgericht. Bei einer Tour in den Schweizer Bergen begegnet sie dem Mythos Sisyphus und lernt seine Deutung des Steineschiebens in einem Menschenleben kennen: Menschen dürfen durch die moderne Medizin nicht von ihrem Fels getrennt werden. Fortan bestimmt der Mythos ihr Denken und Handeln mit dem Ziel, den Menschen durch aktive Sterbehilfe wieder zu ihrem Stein zu verhelfen. Plötzlich sterben Menschen in Katharinas Umfeld, auf deren Tod schon gewartet wird. Ihr Vater – verwahrlost im Finalzustand seiner Alkoholkrankheit – soll im Pflegeheim zum Sterben untergebracht werden. Weder sie noch der Vater stimmen der Entscheidung zu, doch die Schwester und ihre Mutter drängen darauf. In dieser Situation lernt sie Christoph kennen. Auch er muss eine schwierige Entscheidung treffen. Seit einem Motorradunfall liegt seine Frau in einem Pflegeheim im Wachkoma. Er will, dass die lebensverlängernden Maßnahmen eingestellt werden, trifft allerdings auf massiven Widerstand in der Pflegeeinrichtung. Katharina und Christoph – zwei Bedürftige begegnen sich und klammern sich hilfesuchend aneinander. Wird ihre Liebesbeziehung den außergewöhnlichen Belastungen gewachsen sein? Der Roman soll dazu bewegen, über schwierige ethische Entscheidungen am Ende eines Lebens nachzudenken.2. Zum Inhalt
Es geht um Ethik, selbstbestimmtes Leben, selbstbestimmtes Sterben. Die Bereitschaft, mitten im Leben, an den Tod zu denken und ein Patiententestament zu verfassen ist für den einen oder den anderen nicht so einfach.Marbie Stoner benutzt den Mythos des Sisyphus als Metapher für ein vollendetes abgeschlossenes Leben. Ich verstehe das so:
Die Götter bestraften Sisyphus für mehrere Vergehen. Eines seiner Vergehen war, die Gefangennahme Thanatos‘, den Gott des Todes in der griechischen Mythologie. Sisyphus hat sein Schicksal angenommen. Den Stein nach oben zu bringen, ist die Aufgabe seines Lebens. Er verwirklicht seine für ihn Innerste und wichtigste und einzige? Aufgabe. Er verwirklicht sich selbst. Dadurch, dass er keine oder minimalste Erwartungen an das Leben stellt, kann er auch nicht enttäuscht werden. Und wenn er die Aufgabe vollbracht hat, den Stein oben auf den Berg gerollt zu haben, stellen sich Glücksgefühle ein. Er selbst stößt den Stein wieder nach unten, er bestimmt wie und wann. Sobald sein Stein diese Talsohle erreicht, geht die Plackerei wieder von vorne los, aber bis dahin, den Weg ins Tal hat er keine Verpflichtungen. Er ist frei.
Und genau die ist unsere Aufgabe im Leben. Wir müssen unseren eigenen Felsen immer wieder auf den Berg schaffen. Wenn der Felsen sich auf der Spitze befindet, stellen sich Glücksgefühle ein. Aber das Leben ist ein Perpetuum mobile. Der Stein wird immer wieder ins Tal rollen. Ich glaube schon, dass es so ist, dass Sisyphus ein glücklicher Mensch ist.
Die moderne Medizin lässt es oft nicht zu, dass der Mensch seinen Felsen weiterschiebt. Was dann?
Es geht auch um die Frage, wie kommt die Umwelt mit dieser Grenzsituation zurecht? Wie empfinden den Partner, die Angehörigen, die Nachbarn und das Pflegepersonal damit klar? Können sie die Situation aushalten?
Das Buch beschäftigt sich auch mit der Frage, wann ist das Leben lebenswert bzw., wann ist es das nicht mehr?
5/5 Punkten
3. Protagonisten
Katharina ist eine Frau, die auf den ersten Blick mitten im Leben steht. In ihrem Beruf ist sie ständig mit dem Leid konfrontiert. Motorradfahren holt sie aus dem Alltag. Ihre familiäre Situation ist schwierig. Der Vater ist Alkoholiker. Mutter und Schwester stehen dem Vater sehr ablehnend gegenüber. Katharina fühlt sich trotz allem mit ihm verbunden. Ich habe das Gefühl, dass sie sich dafür verantwortlich fühlt, dass er seinen Felsen bis zur Spitze schieben kann.Ich denke Katharina ist krank, weil sich ihre Werte verschoben haben und sie jetzt nur Gutes im Sterben des leidenden Patienten sieht. Aber das ist eine persönliche Bewertung und kann nicht für einen Anderen gelten.
Christoph, der Darkfahrer, steckt in einer ähnlichen Situation. Katharina empfindet ihn als Seelen verwandten. Er hat eine komplexe Persönlichkeit, die den Leser sofort für ihn einnimmt. Er wirkt tiefsinnig, verständnisvoll und zärtlich.
5/5 Punkten
4. Sprachliche Gestaltung
Es gefällt mir sehr gut, dass die Autorin ein lebendiges Schriftbild wählt. Sie spielt mit Groß- und Kleinschreibung, Absätzen und Hervorhebungen, je nach Seelenzustand Katharinas oder der Bedeutung des Geschriebenen. Es wirkt, als ob hier eine weitere Sicht der Dinge aufgezeigt wird.Marbie Stoner passt die Sprache dem Geschehen an. Von derb, während des Streits mit den Nachbarn, bis zu poetisch-zärtlich bei den erotischen Szenen mit Christoph, findet der Leser viele Schattierungen. Ich war erfreut, am Anfang ein Inhaltsverzeichnis und im Epilog das Literaturverzeichnis zu finden.
5/5 Punkten
5. Cover und äußere Erscheinung
Auf dem tiefblauen Cover sehen wir ein Foto eines Steinmassives, in dessen Mitte ein beachtlicher Felsen eingeklemmt ist. Es handel sich dabei um Kjeragbolten am Lysefjord in Norwegen. Sehr imposant und hundertprozentig passend.Das Buch, „Die Assistentin des Sisyphus: Landschaft einer Anderen“ von Marbie Stoner ist Bei null am 06.05.2017, unter der ISBN B071RX9DSL, erschienen. Das Buch hat 300 Seiten und fasst sich (Softlack) schön an.
5/5 Punkten
6. Fazit
Ich finde, jeder Mensch sollte sein Leben selbstbestimmt führen, das heißt, im Umkehrschluss, auch zu sterben, wie und wann er es möchte. Natürlich hat keine Anderer das Recht darüber zu entscheiden, ob dieses Leben noch lebensfähig ist. Keineswegs hat es das Recht, einen anderen zu töten. Was aber ist, wenn der Andere um Sterbehilfe bittet?Wobei ich es als Angehöriger nicht einfach finden würde, zuzuschauen, wenn ein lieber bzw. geliebter Mensch leidet. So wie es in der Schweiz oder in Holland gehandhabt wird, ist vielleicht ein besserer Weg. Die Institution oder der Verein Dignitas sind ein alternativer Ausweg.
Das Buch gefällt mir gut. Als Leser positioniere ich mich ständig neu, um das Geschehen zu verstehen. Finde ich gut, weil man ständig reflektiert,.
Ich finde es sehr gut gelungen, dass der Leser entscheiden kann, ob er die nüchterne wissenschaftliche Erklärung für das Phänomen Sisyphus wählt: Dehydration, Überanstrengung, Krankheit, oder ob er eine metaphysische Erklärung dahinter sehen möchte. Warum gaukelt ihr das Gehirn die Person Sisyphus vor? Sieht sie selbst das Leben als Sisyphusarbeit? Ich denke ja.
7. Leserunde
Ich habe das Buch im Rahmen einer Leserunde zur Verfügung gestellt bekommen. Es hat mich bewegt und beeindruckt. Vor allem die Fragen, die Marbie Stoner der Runde stellte, fand ich bemerkenswert und möchte sie euch nicht vorenthalten:1. Können wir uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen darstellen?
2. Die erste aktive Handlung - schockierend?
3. Wachkoma: Was bleibt bei Phase F?
4. Der Vater: Als Nachbar, lieber nicht?
5. Katharina: Schuldig? Krank? Oder pragmatisch?
Vielen Dank @Marbie Stoner für dieses großartige Buch und die Veranstaltung der Leserunde.
Ich vergebe insgesamt 5/5 Punkten. Eine Leseempfehlung an Jeden!!! Ich beende meine Rezension mit den gleichen Worten, wie Marbie Stoner ihr Buch:
"Und - haben Sie schon eine Patientenverfügung?"