Dass Marcel Fratzscher renommierter Ökonom ist und damit als Autor für ein Buch, in dem es um Geld bzw. dessen Anlage geht, liegt nahe. In „Geld oder Leben“ geht Fratzscher der Frage um Sparen bzw. Geld und Schulden nach. Die Deutschen sparen zwar so viel wie kein anderes Volk, sie sparen aber auch anders – und sie haben Angst vor Inflation und Verschuldung. Fratzscher zeigt und veranschaulicht, wo wir uns in puncto Geld verhauen, dass manche unserer Wahrnehmungen eben genau das ist: Wahrnehmung, weniger Realität. So hält er uns letztlich den Spiegel vor, wo unser Irrglauben und unser irrationales Verhältnis zum Geld sogar das Potential haben, die Gesellschaft wirtschaftlich und sozial zu spalten (die berühmte Schere zwischen Arm und Reich – und ja, die geht weiter auf). Doch es gäbe ja auch Auswege, die allerdings ein Umdenken voraussetzten – auch die zeigt Fratzscher für den einzelnen, aber auch die Gesellschaft auf. Wenn er mit seinem Buch allein schon erreicht, dass wir mehr darüber nachdenken, unser Geld anzulegen (sofern möglich), wie und uns insgesamt einfach besser mit dem Thema auskennen, hat er schon viel erreicht und zeigt somit letztlich Auswege aus der Chancenungerechtigkeit auf.
Über den Titel könnte man streiten, wenn man das „oder“ als exklusives Oder läse. Doch so ist es mit manchen von Fratzschers Aussagen: Er stellt sich zum Beispiel klar gegen die These, dass die momentane EZB-Politik zu einer Enteignung der Sparer entspreche und bezeichnet sie als Populismus. Seine Argumentation geht da Richtung „gefühlte Inflation“ – was er dabei nicht (ausreichend) thematisiert, ist der Umstand, dass eben die „gefühlte Inflation“ für viele der realen entspricht, weil schlicht der berühmte Warenkorb, nach dem sich die Inflation berechnet, für deren Leben keine Rolle spielt. Insofern hat er zwar Recht, dass man sein Geld anlegen soll, aber wenn man keines hat, wird das natürlich schwierig. In Summe analysiert Fratzscher die Lage und erklärt Zusammenhänge, um seine Leser zu befähigen, selbst vernünftige Entscheidungen zu ihren Finanzen zu treffen (Sparen tut man, wenn das Geld sich mehrt und Schulden macht man, wenn die Hoffnung besteht, dass die Inflation sie „auffrisst“), konkrete Vorschläge wird man vergeblich suchen (das ist aber auch nicht Ziel). Sein Verdienst liegt zweifelsohne darin, komplizierte Zusammenhänge leicht verständlich zu erklären. Ob diese Welt allerdings für „Kleinsparer“ funktioniert (toll, dass die Investition in Bitcoin oder Immobilien sinnvoll sein mag, ist sie denn auch möglich?). Guter Ansatz, der allerdings schon nur für diejenigen zu lesen lohnt, die überhaupt etwas anlegen könnten. 3,5 abgerundete Sterne, weil das Buch über eine Analyse nicht hinausgeht, die zum Erscheinungstermin leider schon fast veraltet war, weil die Inflationszahlen sich nun eben doch so ganz anders entwickeln …