«Vor dem Dreck hat es ihm gegraust. Mit einem Druck, als wenn man am Brunnen pumpen würd, schießt es heraus aus den Viehchern, wenn sie brunzen, und dann kleschen auch schon die Fladen auf den Boden, dass es hinspritzt überall. Legen sich rein, dass ihnen die braunen Krusten bis zum Hintern rauf picken. Und überall wo es nass ist und warm auf den Viehchern, sitzen die Fliegen. Um die Augen, ums Maul und hinten, wo oft noch die Kotbatzen heraushängen aus der rosa Fleischwulst.»
Ein moderner Heimatroman aus Österreich – das Psychogramm eines kleinen Dorfs. Elfi Reisinger, eine junge Bäuerin, lebt Anfang der 1970er Jahre mit ihren Eltern auf einem kleinen Hof in der Rotte Ferchkogel, einer abgelegenen Siedlung im Voralpenland, eine Ansammlung von fünf Bauernhöfen. Ihr Vater, ein Trinker, der an der Schwermut leidet, verschwindet eines Nachts, die Gendarmerie geht von einem Suizid aus. Anscheinend ist er bei Eiseskälte in den Schwarzbach gestiegen – einer behauptet, er hätte die Leiche am Abend gesehen, konnte aber nicht hinuntersteigen im Schnee. Am nächsten Tag war der Bauer nicht zu finden, wohl unter dem Eis mit der Strömung in den Ferchkogelsee getrieben. Die Dörfler trauen den beiden Frauen nicht zu, den ärmlichen Hof alleine weiterzuführen, bedrängen sie zu Pacht und Verkauf. Ein Nachbar will den Grund am See für einen Spottpreis kaufen, denn der ahnt den Wert in der Zeit des aufkeimenden Tourismus, die ersten Sommerfrischler tauchen auf.
«- Der Franz wird bluten, die Sau, hat der Andi gesagt.
- Gar nix wird er. Horch zu, hat der Siggi gesagt, es ist nix geschehen, wir haben uns mit ein paar Angesoffenen geschlagen, hast mich verstanden? Dem werd ichs anders heimzahlen.»
Doch Elfis heiratet den Automechaniker Franz Kehrtegger – einen Auswärtigen – was zu weiteren Spannungen im Dorf führt. Er hätte gern Bauer werden wollen, aber den Hof hat selbstverständlich sein älterer Bruder geerbt. Mit der Elfi ist nun Bauer – aber der Hof gehört der Schwiegermutter Lisbeth, die rein gar nichts von der Hochzeit gehalten hat. Mit dem Franz läuft es anfangs gut, doch immer mehr versucht er, seinen Willen durchzusetzen gegen Frau und Schwiegermutter. Des Abends geht er immer öfter auf die Pirsch runter ins Dorf. Ein Mann braucht seine Freiheit. Marcus Fischer zeichnet ein ländliches Sittenbild: Gemeinschaft und Zusammenhalt, aber auch familiäre Machtstrukturen, Fremdenhass (obwohl der Franz nicht von weit herkommt), Missgunst, üble Nachrede, Hinterfotzigkeit, Scheinheiligkeit, Protz, Rache, Habgier, Verantwortung und Verantwortungslosigkeit, lügen, betrügen, Überforderung, Überschuldung, Depressionen, toxische Männlichkeit bis zu Gewalttätigkeit – eben alles, was zu einem Dorf gehört.
«Oder obs zu wenig Pulver ist. Eine ganze Zeitlang hat sie herumprobiert. Hat mehr reingetan in seinen Teig. Und auch was ins Essen. Im grünen Salzstreuer war das Pulver fürn Franz drin, mit Salz vermischt. Und wenns am Abend Reisfleisch gegeben hat oder geröstete Knödel, hat sie seinen Teller gar nicht gewürzt, dass er ordentlich hat nachsalzen müssen.»
Wunderschön liest sich der Sound von Marcus Fischer, in den ich mich sofort verloren habe. In Dialekt geschrieben, wäre zu viel gesagt, auch wenn die eine oder andere österreichische Vokabel fällt, ist es die grammatische Struktur, die dörfliche Klangfarbe, die Naivität von Elfi. Es gibt großartige Bilder des Dorfmilieus der Siebziger. Geschichte und Sprache bilden eine Einheit, runden den Roman ab, lassen den Lesenden in dieses Dorf hineinziehen. Und ein Heimatroman ist meist ja auch ein Kriminalroman ... Frauenschicksale, Geschlechterrollen – eine Lisbeth und eine Elfi, die mehr auf dem Kasten haben, als man ihnen zutraut. Brutal in der Sprache und im Geschehen und zugleich ein berührendes Buch.
Marcus Fischer wurde 1965 in Wien geboren, lebt als selbstständiger Texter und Autor in Wien. Er studierte Germanistik in Berlin und arbeitete einige Jahre als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache, außerdem als Texter in Berlin und Wien. 2015 gewann er mit «Wild-Campen» den FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb.