Rezension zu Bleib wo du bist von Mareike Krügel
Rezension zu "Bleib wo du bist" von Mareike Krügel
von Clari
Rezension
Clarivor 14 Jahren
Drama und Folgen einer gestrengen Erziehung: Eine Romanbiographie. Zu einem Therapeutenkongress in Meran sind eine Menge interessierter Kollegen zusammen gekommen, unter ihnen auch Matthias Harms aus Hamburg. Er wird sogar einen Vortrag halten, denn sein Spezialgebiet sind Zwangsneurosen. Aus seiner Perspektive entsteht das Bild einer Berufsgruppe, die sich auf besondere Weise der eigenen Belastungen entledigt: man witzelt gerne, beobachtet die Berufskollegen und stellt eigene Betrachtungen zu deren Charakteristika an. Bei einem Gang durch die Stadt Meran trifft Matthias eine hübsche junge Frau. Er hat mit seinen 51 Jahren nicht übel Lust auf ein kleines Abenteuer. Doch stellen sich im Zusammenhang mit der Kontaktaufnahme beängstigende Erinnerungen bei ihm ein und er sucht schleunigst das Weite. Innerlich gerät er ins Schleudern und kann seinen Vortrag nicht halten. Auf einer anschließenden Nachtwanderung in die umliegenden Berge steigt aus den Tiefen der Erinnerung sein Elternhaus vor ihm auf. Diese Erinnerungen sind durch ein Tabu belastet. Matthias gerät beim Nachdenken über die Vergangenheit in einen psychischen Ausnahmezustand und weiß sich kaum zu helfen. In feiner Diktion, scharf beobachtend, erlebt Matthias an sich selber, wie man die Kontrolle über sich verlieren kann. Es geht in dem Roman u.a. um Erziehungsmethoden der Vorgeneration, und es geht um die Frage, ob man als Folge einer als streng erlebten Kindheit einem eigenen Kinderwunsch nachgeben sollte. Es geht aber auch um Ehe, Liebe, Treue und die innere Verbundenheit zwischen Paaren. Tiefsinnig, reflektiert und sehr kompetent weist die Autorin auf Ambivalenzen hin, die das Leben bestimmen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen nicht für sich sondern bilden einen Gesamtkomplex. Mareike Krügel hat das Thema klug und wissend um die seelischen Abgründe bearbeitet. Ihr ist eine spannende Erzählung über die Möglichkeiten und Grenzen therapeutischer Hilfen gelungen und über die Not, denen auch Therapeuten ausgesetzt sind. Die Autorin lebt in Kiel und wurde 2006 mit dem Friedrich-Hebbel-Preis ausgezeichnet.