Cover des Buches Sieh mich an (ISBN: 9783492058551)
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Rezension zu Sieh mich an von Mareike Krügel

Eine Achterbahn der Gefühle

von skaramel vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Wunderbar geschriebener Roman mit leider fadem Ende, das dem Buch den Glanz nimmt

Rezension

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skaramelvor 7 Jahren
Katharina schreibt gerne Listen. Was muss heute noch erledigt werden? Welche Musikstücke lösen eine Gänsehaut aus? Welche Fragen kann ich nicht mehr hören? Welcher Spruch wäre passend für den eigenen Grabstein?
Letzteres ist nicht Katharinas makabren Humor geschuldet, sondern dem Knoten in ihrer Brust. Dieser ist das unausweichliche Thema von Mareike Krügels „Sieh mich an“. Doch hier geht es nicht um den Kampf gegen die Krankheit, die Tage nach der Diagnose oder dem Neuanfang nach dem Sieg gegenüber dem Krebs, sondern um einen Tag. Es sind gerade mal 24 Stunden, die wir Katharina begleiten. Doch es ist ein ganzer Tag voller Gedanken, Fragen und Erinnerungen, die sich wie ein Kreis zusammenfügen. Denn wie akzeptiert man dieses Ding in seiner Brust, wenn man nebenbei noch Mutter, Haus- und Ehefrau und Musiklehrerin ist? Wenn man eigentlich sich um die Tochter kümmern müsste, die unter AHDS leidet und schon wieder mit Nasenbluten aus der Schule nach Hause kommt? Oder wenn der Sohn die erste Freundin nach Hause bringt? Oder die SMS mit dem Mann, der auf Dienstreise ist, immer nüchterner und kalkulierender werden? Wenn der ehemalige Mitbewohner aus Studentenzeiten anreist und den Kopf mit Martini und Apfelmus verwirrt? Wie soll man da Zeit haben zu realisieren, verstehen und akzeptieren?
Katharina ist sicherlich kein einfacher Charakter, der zusätzlich in einer schwierigen Situation steckt und sie zusätzlich zum eh schon chaotischen Alltag vollkommen überfordert. Ihre Affinität für abstruse Listen und die Gedanken in alle Richtungen kreisen zu lassen, macht sie auf den ersten Blick nicht sympathisch, aber menschlich. Die kleinen Rückblenden auf die Vergangenheit, sei es Costas und ihre Geschichte oder die Erklärungen ihrer Universitätskarriere, machen so manches Verhalten verständlicher und schaffen einen wunderbaren Rahmen, in dem Katharina nicht mehr nur verzweifelt und zeitweise wunderlich wirkt, sondern man ganz genau die Konsequenzen diverser Schicksalsschläge und Entscheidungen sehen kann. Die Thematik ist hart, Katharinas gedankliche Eskapaden keine leichte Kost und trotzdem kann das Buch nur schwerlich aus der Hand gelegt werden. Durch die Vermischung aus Vergangenheit und Gegenwart erklärt sich Katharinas Geschichte wie von selbst und jede Seite beantwortet wieder ein kleines bisschen mehr. Hinzu kommt Krügels brillanter Schreibstil, der das Buch auch literarisch wertvoll macht.
Doch dann kam das Ende und die Krux ist wie üblich aus einer guten Idee einen guten Abschluss zu schaffen. Leider verliert sich Krügel samt Katharina irgendwo auf einer Autobahn Richtung Berlin. Die letzten dreißig Seiten wirken zu temporeich, zu impulsiv und zu abstrus – für die Autorin und für ihre Protagonistin. Es hinterließ mich mit einem leichten Kopfschütteln und Unverständnis. Nicht weil es ist nicht klar ist, dass traurige Menschen verrückte Dinge anstellen, sondern weil ich mich fragte, was nun die Perspektive für unsere Katharina ist. Warum hat sie das getan? Was passiert nun weiter? Das Ende ist so offen, dass die Fragen, die uns Krügel so beharrlich erklärt hat, wieder offen sind.
Alles in allem hinterlässt durch das seltsame Ende „Sieh mich an“ einen faden Beigeschmack. Als hätte man etwas Wundervolles gefunden, das einem gewaltsam aus den Händen gerissen wurde.
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