Cover des Buches Der Report der Magd (ISBN: 9783492311168)
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Rezension zu Der Report der Magd von Margaret Atwood

"Ich möchte gern wissen (...) Was vor sich geht"

von katiandbooks vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Sperrig erzählter Alltagsbericht immer gleicher Abläufe, der mir kaum zu Herzen ging

Rezension

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katiandbooksvor 6 Jahren
In dem auf amerikanischem Boden errichteten, totalitären Staat Gilead haben Frauen kaum noch Rechte und werden in verschiedene Gruppen eingeteilt, darunter Mägde, die für die Ehefrauen hochrangiger Kommandanten als Leihmütter fungieren, nachdem viele Frauen unfruchtbar geworden sind. Desfred ist eine Magd und erzählt uns ihre Geschichte.


"Ich wünschte, sie (diese Geschichte) würde mich in einem besseren Licht zeigen, wenn nicht glücklicher, so doch zumindest aktiver (...). Ich wünschte, sie hätte mehr Form." (S. 355)


Du sagst es, Desfred!


Die Bücher von Margaret Atwood erleben derzeit durch die sehr schönen Neuauflagen, durch den ihr verliehenen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und durch die Verfilmung als Serie eben dieses Romans einen Aufschwung. Gerade Der Report der Magd scheint da so etwas wie ein Must-Have, Must-Read und vor allem ein Must-Gut-find zu sein, doch letzeres kann ich nicht teilen.


Was zunächst auffällt, ist natürlich der Schreibstil, der sperrig und äußerst gewöhnungsbedürftig daherkommt. Zwar habe ich mich irgendwann daran gewöhnt und das Lesen fiel mir entsprechend leichter, doch ich war nicht weniger genervt davon. Ich lese gerne anspruchsvolle Schreibe, ich bin begeistert davon und habe noch nie viel davon gehalten, die Sätze möglichst kurz zu halten, möglichst einfach, möglichst eingängig, wie es Schreibern oft geraten wird, aber das war einfach nichts für mich. Das mag etwas für Fans übertrieben intellektueller Literatur zu sein, aber, mein Gott, dann bin ich eben mainstream.


"Ein kurzer Blick, ein blasser Schimmer in der Luft, ein Glühen, eine Aurora, tanzende Elektronen, dann wieder ein Gesicht, Gesichter. Aber sie entschwinden, obwohl ich die Arme nach ihnen ausstrecke, sie entschlüpfen mir, Geister bei Tagesanbruch." (S. 260)


Und so ging das die ganze Zeit, obwohl die Dialoge so gut waren. Es gibt eine Passage, in der seitenlang Ereignisse von einer Person in wörtlicher Rede erzählt werden, was richtig gut ist. Endlich versteht man mal, was die Autorin überhaupt sagen will. Endlich wird Klartext geredet. Wieso musste der Rest unbedingt so sperrig sein? Selbst bei offensichtlichen Fehlern im Text war ich mir nicht sicher, ob es wirklich ein Fehler war oder Absicht. "Dort setze mich auf den Stuhl (...)" (S. 193) ... Fehlt da was? Oder ist das so? Wer weiß das schon so genau?


"Ich möchte gern wissen (...) Was vor sich geht." (S. 253)


Ja, ich auch! Nicht nur, dass mich der Schreibstil total verwirrt hat, nein, auch der Erzählstil war nicht besser. Desfred erzählt ihren Alltag im totalitären Regime, in dem sie keinerlei Rechte mehr hat. Zwei Drittel des Buches passiert praktisch nichts außer immer die gleichen Tätigkeiten, ein beträchtlicher Teil geht mit Warten drauf. Warten und nachdenken. Selbst, als es einen wirklich guten und unvorhergesehenen Plottwist gibt, bei dem man schon Hoffnungen hegt, die Handlung ginge endlich los, fügt der sich bloß in die tägliche Aneinanderreihung von Dingen ein, die Desfred so tut. Glaubwürdig ist sie dabei auch nicht immer. So liest man einen langen Text darüber, was sie erlebt hat, nur, um am Ende dort stehen zu sehen "Ich habe das erfunden. So ist es nicht gewesen. Es war so: (...)" (S. 350) Eigentlich eine ganz witzige Idee für einen Roman mit Ich-Perspektive, aber nicht nach 350 Seiten Geschwurbel, und vor allem nicht, wenn nach der "richtigen" Erzählung wieder da steht "Ätsch, veräppelt" (oder so in der Art ...).


Dabei unterbricht sie ihre Geschichte immer wieder durch Erinnerungen an die Vergangenheit. Mitten in einer Szene, die sie beschreibt, reißt sie den Leser heraus und erzählt von früher oder von ihrer Freundin. So kommt ein mitten aus dem Zusammenhang gerissenes "Ich erzähle jetzt, was Moira zugestoßen ist." (S. 174) so plötzlich, dass man kaum noch weiß, was eigentlich los ist. Als hätte man nicht genug zu rätseln.


Mir ist schon klar, dass gerade die ewigen Alltagsbeschreibungen eine Monotonie erzeugen sollen, aber das hat man nach spätestens 50 Seiten schon begriffen. Bis endlich mal etwas passiert, ist das Buch schon fast vorbei.


Nun wird Der Report der Magd ja als besonders feministisches Werk verstanden. Wer es durch die eher subtilen Hinweise (die meisten Frauen sind nicht mehr in der Lage, Kinder zu bekommen; die, die nicht funktionieren (in welcher Art und Weise auch immer) werden als Unfrauen bezeichnet; den Gebärfähigen wird der Name entzogen und sie erhalten den Namen ihres "Besitzers") noch nicht begriffen hat, bekommt es noch mit der Holzhammermethode präsentiert (gerne mitten in einer laufenden Szene, versteht sich). Da sinniert Desfred darüber, dass man "in früherer Zeit" sich als Frau nur hübsch gemacht hat, nur Sport getrieben hat, nur etwas aus sich gemacht hat, um Männern zu gefallen; dass man sich ausschließlich über einen Mann definiert hat. Klar, das musste auch noch rein, wenn man von Feminismus schreiben will. Für mich las es sich jedoch nur wie dumpfe Phrasendrescherei. Aber vielleicht bin ich für diesen Roman einfach nicht Feministin genug. Vielleicht bin ich zu sehr Humanistin.


Denn am stärksten fand ich die Geschichte, wenn man die Unterdrückung als Ganzes herauslesen konnte, die Beschreibung des, für alle Beteiligten sehr unwürdigen Geschlechtsakts zum Beispiel, der voll bekleidet und unter "Aufsicht" der Ehefrau stattfindet. Wenn man daran denkt, dass es in dieser Gesellschaft fast ausschließlich darum geht, Kinder zu bekommen. Die einen müssen sie austragen, ob sie wollen oder nicht; die anderen müssen sie behalten, ob sie wollen oder nicht. Und auch die Männer werden unterdrückt, doch das zu erkennen, muss man wirklich suchen.


Fazit: Entweder war ich genervt oder ich war verwirrt von der Art, wie die Ich-Erzählerin ihre Geschichte erzählt. Es mag für viele ein großartiger und für die Gesellschaft wichtiger Roman sein, vor allem für Frauen, aber wenn es mich nicht unterhält, dann tut es mir leid, dann gefällt es mir nicht. Trotzdem möchte ich mit einem wirklich tollen letzten Zitat enden: "(...) was hat sie je anderes gewollt, als ihr Leben so angenehm wie möglich zu leben? (...) Am Ende zählt doch nur, was möglich ist." (S. 158) Für mich sind in dem Fall 2,5** möglich.
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