Rezension zu "Lady Orakel" von Margaret Atwood
Joan ist unsere Protagonistin, unsere rothaarige Botticelli-Heldin, die das Buch mit der fesselnden Zeile beginnt:
Ich plante meinen Tod mit Bedacht - anders als Leben, das, trotz meiner lahmen Versuche, es unter Kontrolle zu halten, dauernd auf Abwege geriet.Joan, eine Meisterin der Flucht, hat ihren Tod vorgetäuscht und taucht in einem kleinen italienischen Dorf wieder auf. Sie schreibt Gothic-Romane, lebt unter zwei Identitäten, und das Bild, das sie nach außen hin zeigt, ist nur ein Spiegelbild des Ganzen. Ihre innere Welt ist geheimnisvoll, verborgen, beklemmend. Bald beginnen sich ihre Geheimnisse in einer höchst unpraktischen Weise zu überschneiden.
Atwood beschreibt die Grausamkeiten der Kindheit und die gegensätzlichen Natur von Freiheit und Liebe so überzeugend, dass ich in der Geschichte mitgerissen wurde. Manche Momente waren nachvollziehbar, wie die Komplexität der Mutter-Tochter-Beziehung, herzerwärmend, wie die Figur von Tante Lou, absurd, wie das Königliche Stachelschwein, und beängstigend, wie ein ehemaliger Liebhaber, der zu einem beunruhigenden Stalker wird.
Sie spielt auch mit der literarischen Welt und ihren Konventionen. Als Joan unerwartet als literarische Dichterin veröffentlicht wird, wird sie von einem männlichen Interviewer angegriffen, der versucht, sie in die "Frauenbefreiung" zu drängen – etwas, dem sie entkommt, so wie Atwood es auch tut.
Die Frage, die sich daraus ergibt: Was ist die Wahrheit, wenn so viele Wahrheiten in einer Person existieren? Viele Charaktere in diesem Roman sind zwei Seiten derselben Medaille. Es ist unmöglich, genau so zu sein, wie man sich präsentiert, oder sich genau so zu präsentieren, wie man ist. Ich habe diese Reise von Anfang bis Ende genossen. Ich schätze Joans chaotisches Leben, weil alle Leben chaotisch sind.
Fazit: Alles in allem ist "Lady Orakel" ein interessantes und unterhaltsames Buch. Es hat zwar nicht so einen starken Tiefgang, aber es bietet dennoch genügend Stoff zum Nachdenken und Unterhalten. Ein bisschen straffer im letzten Drittel und es hätte mir noch besser gefallen. 3,5/5 ⭐️