Rezension zu "Mütter. Väter. Männer. Klassenkämpfe" von Margit Schreiner
Mit ihrem zweiten autobiografischen Band „Mütter. Väter. Männer. Klassenkämpfe. Über das Private“ taucht die 1953 geborene Schriftstellerin Margit Schreiner weiterhin im autofiktionalen Schreiben und in den tiefen Gefilden der Lebenserinnerung – diesmal über die aufwühlende Pubertät im stickigen österreichischen Kleinbürgertum der 1960er-Jahre, während die aufmüpfige 1968er-Bewegung anrollt.
Dabei wirft Schreiner selbstironisch und mit viel schwarzem Humor Schlaglichter auf die komplizierte Zeit, wenn sich beim Heranwachsen Körper sowie Geist massiv verändern und die ersten Schwärmereien und näheren Begegnungen mit dem anderen Geschlecht passieren. Nachdem sie in ihrem ersten Band mit viel klugem Witz von ihrer Kindheit und Einschulung erzählte, ist nun die Abiturzeit mit all ihren Irrungen und Wirrungen dran. Gefühle wie Scham spielen eine Rolle, die Unsicherheiten während der ersten Monatsblutung, des ersten Mals oder des ersten Frauenarztbesuches. Aber auch die zwischenmenschlichen Verschiebungen und Konflikte zwischen Eltern und Kind, Loslassen und Einmischen sowie des Verschweigens von heiklen Themen. Ob bei den heimlichen Besuchen der Café-Treffs der Stadt oder den Familien-Urlauben in Caorle – die Ich-Erzählerin gibt vielerlei intime Erlebnisse sowie private Nöte zwischen Peinlichem und Lustigem sowie zwischen Wild- und Brav-Sein preis. Und als Mädchen schwelgt sie fantasiereich in eigenen mentalen Erfindungen wie der Maharadscha, dem sie als schwarzer Panther ergeben zu Füßen liegt.
Schreiner reflektiert neben dem begnadeten und sicheren Erzählen dabei gekonnt über das unstetige Erinnern an sich, changiert zwischen feinfühlig aufgefangenem Lebensernst und fantasiereichem Witz, wenn in der Zeit des Heranwachsens erste tiefe Prägungen ihren Lauf nehmen und sich verschiedene Versionen des eigenen Ichs herausbilden. In ihrer außergewöhnlichen und nachdenklichen Erinnerungsliteratur zwischen Fiktion und Wahrheit helfen der Autorin laut ihrem Werk zwei Instanzen: Der Mythologe und der Archivar. Beide verweben und ergänzen sich und helfen ihr beim Lavieren durch die Verästelung des Gedächtnisses.
Ohne Kapitelunterteilung reihen sich peinlich-skurrile und unterhaltsame Episoden an die eigenen, scharf beobachteten Reflexionen der Autorin und enden nach der Gymnasialzeit mit der Matura sowie dem Studienantritt der Erzählerin in Salzburg. Man darf sich vermutlich schon auf das nächste empathisch-lakonische Werk der Autorin über das Erinnern freuen!