Cover des Buches Das Lachen der Hexe (ISBN: 9783312003730)
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Rezension zu Das Lachen der Hexe von Margrit Schriber

Rezension zu "Das Lachen der Hexe" von Margrit Schriber

von Mr. Rail vor 14 Jahren

Kurzmeinung: Die ersten Zeilen ziehen mich ins Muotatal - ein Strudel entfaltet sich und ich staune.

Rezension

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Mr. Railvor 14 Jahren
“Wäre ich hier, wenn ich zaubern könnte? Ihr fragt. Ich antworte. Doch jede Antwort haltet Ihr für eine Lüge.” Ich bin erkältet. Von leichten Fieberschüben geschüttelt und von Halsschmerzen geplagt. Und doch begebe ich mich in die kühle Schweizer Bergwelt und betrete auf geheimen Pfaden das abgelegene Muotatal. Idyllisch wirkt das Panorama und gastlich scheint es zu sein. Weit entfernt von den Lebensadern der Welt ist die dörfliche Gemeinschaft der Menschen die einzige Lebens-versicherung und eine Basis für das wenige Glück, das hart erarbeitet und gepflegt werden muss. Schön ist es hier. Das Innen scheint intakt, das Außen eher geduldet, denn willkommen. Und doch birgt die leise fließende Muota ein schreckliches Geheimnis - ein Geheimnis aus der Innenwelt der Gemeinde Muotathal. Ein Vorfall aus längst vergangener Zeit hängt wie ein Schleier über der Gegenwart, scheint Sinnbild und Mahnmal zugleich zu sein. HEXENJAGD. Im Jahr 1706 heiratet der angesehene Vogt Meinrad Gwerder eine Auswärtige. Anna Maria Schmidig aus Steinen. Befremden über diese Wahl schlägt ihm und seiner Frau entgegen. Ein Einbruch in das Innenleben der abgeschiedenen Gemeinschaft könnte nicht schlimmer wiegen. Anna bringt mit ihren Ansichten, ihrem Wesen, ihrem Lachen und ihrem weiblichen Selbstbild frischen Wind ins Muotatal. Einen Wind jedoch, der Sturm erzeugt. Als ihr Mann stirbt wendet sich die Gemeinde geschlossen gegen die nun schutzlose Frau. Aus einer Geduldeten wird eine Auszustoßende. Sie wird mit ihren Kindern einem Vormund unterstellt, verliert Namen und Besitz, Anspruch und Ehre, Selbstwert und Achtung. Kollektiv überschüttet man die Fremde mit Verdächtigungen und macht sie für alles Unglück der Welt verantwortlich. Man unterstellt ihr fehlenden Glauben und magische Kräfte. Man malt sich ein Feindbild aus, das in diesen Zeiten auf den einzigen Nährboden fällt, der eine Befreiung für die Gemeinde Muotathal verheißt. Man sagt, sie müsse eine Hexe sein. Man macht ihr den Prozess, verhört alle Zeugen, sammelt die kuriosesten Vorfälle und bringt sie mit Anna Maria in Zusammenhang. Allein ihr Geständnis fehlt - und genau dies benötigt man für das Todesurteil. Man unterzieht sie der schmerzhaftesten Verhörmethoden, die man im Rahmen von Hexenfolter nur aufbieten kann. Zwecklos - sie bleibt standhaft und beteuert ihre Unschuld, während ihre Schmerzensschreie Nachts durch das gesamte Tal zu hören sind. Ihre Töchter zerbrechen am Druck, verleugnen sie und sprechen ihr Schuld zu. Verlassen und ohne Hoffnung gibt sich Anna Maria dem längst besiegelten Schicksal hin. Man findet sie am 13. September 1753 auf dem Gesicht liegend im Verhörturm vor. Sie ist tot. “Soooo! Jetzä!,” lautet die befreite Reaktion im Muotatal. Die Hexe ist tot, der Fluch gebannt und das Leben geht weiter. So scheint es. Jedoch - immer wenn eine verschworene Gemeinschaft jemanden zur Opferbank führt, um sich selbst zu retten, wird sie für alle Zeiten mit dieser Schuld zu leben haben. Unter dem Schleier des Geheimen lastet dieses Vermächtnis für alle Zeiten auf jedem Glück und jedem Fortschritt wie ein selbst auferlegter Fluch. Man wird sich selbst zur Hexe - eine selbsterfüllende Prophezeiung. Heute gibt es keine Hexenfeuer mehr - keine Folterverhöre, keine Inquisition. Heute nennt man dies Mobbing. Ebenso vernichtend und endgültig. Mit ebensolchen subtilen Methoden und in aller Öffentlichkeit. Man nimmt dem Opfer Achtung, Respekt und Ehre - man ist bereit, alles zu nehmen. Man lässt dem Opfer nicht mal die Opferrolle - man macht es zum Täter und erfreut sich an dessen Zusammenbruch. Diese Brücke in die Moderne hat Margrit Schriber in diesem Roman gebaut. Man ist gezwungen, mit ihr über diese Brücke zu gehen und sich zu fragen, ob man es zulassen kann, dass sich Geschehenes heute wiederholt. Sie gibt uns Kraft, uns zu erheben, an Anna Maria zu denken und aktiv Einhalt zu gebieten. Das Muotatal ist die ganze Welt! Gruppen sind so, wie Margrit Schriber sie treffend zeichnet: “Und doch verständigen sie sich, meinte Anna Maria. Und doch gibt es eine Übereinkunft. Die Leute sind dafür oder dawider. Wie ein Fischschwarm, der als ein einziger Körper in eine andere Richtung schwenkt”. “Das Lachen der Hexe” ist heute aktueller als jemals zuvor. Ein Fanal für das Widerstehen gegen Gruppendruck und Verleumdung. Ich bin immer noch erkältet, gedämpft ist meine Wahrnehmung - aber geschärft sind meine Sinne. Ich höre nicht das Lachen der Hexe, sondern das befreite Lachen einer einzigartigen Frau - Anna Maria Schmidig aus Steinen. Ehefrau, Mutter, Händlerin, Christin und UNSCHULDIG.
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