Ruckzuck ist man im Bilde über die Familie von Arthur, dem Bruder, der so oft zurückstecken muss. Und ruckzuck kann ich alle Mitglieder verstehen, denn so ganz fremd ist mir die Grundstruktur der Familie nicht. Auch wir bestehen aus Mutter und Vater, die unendlich oft schlichten und vermitteln müssen zwischen dem einen „normalen“ Bruder – hier Arthur – und dem anderen, ja wortwörtlich „anderen“ Bruder – hier Liam.
Liam verhält sich häufig außerhalb des Normalen, er erträgt Überlautes nicht, reagiert auch sonst manchmal überfordert, kreativ und sehr individuell auf bestimmte Trigger und Situationen. Von Außenstehenden erntet er oft Spott, Unverständnis und Unfreundlichkeit, was auch an Arthur nicht spurlos vorbei geht. Er findet seinen Bruder manchmal sehr anstrengend, aber – was noch viel schlimmer ist – belasten ihn die Reaktion anderer Kinder. Arthur ist hin- und hergerissen. Einerseits möchte er nicht, dass der Makel des „komischen kleinen Bruders“ an ihm klebt, andererseits liebt er Liam sehr.
„“Arthur hasste es, wenn Leute gemein zu Liam waren. Es fühlte sich an, als wären sie gemein zu ihm.“
Auch die Eltern schweben ständig zwischen den Bedürfnissen für Liam und Verständnis für den großen Bruder, der oft zu kurz kommt. Ich denke, alle Eltern, die ein „besonderes“ Kind zu ihrer Familie zählen, kennen diese Situationen.
Ach gäbe es nur mehr Eisbären! Denn als Herr Eisbär in das Leben der Familie tritt, sorgt er zwar für viel Chaos, aber auch für mehr Weitsicht, Toleranz und gegenseitiges Verständnis. Es wird klar: Probleme sind oft das, was man aus ihnen macht. Einiges kann man nicht ändern, aber in vielen Fällen hilft es, den Standpunkt zu ändern oder einfach mal Fünfe gerade sein zu lassen.
Ich mochte den tollpatschigen Herrn Eisbär sehr. Ja, er stinkt nach Fisch, ist oft umständlich und hat eine seltsame Art der Kommunikation, aber er ist sympathisch und lehrt es vorbildlich, miteinander freundlich, gemeinschaftlich und hilfsbereit umzugehen. Manchmal werden so ganz schnell aus großen nur noch kleine Katastrophen. Auch die menschlichen Figuren sind gut gelungen, denn sie sind bereit, im Bereich ihrer Möglichkeiten zu lernen und umzudenken. Das ist etwas, das man durchaus als wünschenswert in die Realität übertragen kann.
„Hallo, Herr Eisbär!“ ist eine tolle kleine Geschichte mit Tiefgang, garniert mit gelegentlicher Situationskomik, die sehr kindgerecht aufgebaut und erzählt wird, durchaus auch ältere Hörer erreicht!
Jörg Pohl, der mir durch die Hörbuch-Version von Jason Reynolds „GHOST“ aufgefallen ist, vertont auch dieses Buch sehr hörenswert und überzeugend. Er schlüpft in die Charaktere, setzt deren Gedanken, Gefühle, Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Freuden gut nachvollziehbar um ist eine gute Wahl für die Kinderbuchvorlage von Maria Farrer, erschienen bei Beltz & Gelberg.