Rezension zu "Die Eingeborenen von Maria Blut" von Maria Lazar
Der Roman einer ganzen Stadt in Österreich in den Jahren 1932-1933. Die Schriftstellerin Maria Lazar schrieb ihn 1935 im dänischen Exil. Sie erzählt davon, wie die „Eingeborenen“ dieses kleinen Wallfahrtsortes denken, reden und handeln. Oft alltäglicher Tratsch, der ganz plötzlich umschlägt in Gemeinheiten und die Sprecher entlarvt. Lazar stellt dar, wie faschistisches Gedankengut sich ausbreitet, wie antisemitische Stimmungen geschürt werden. Viele sind von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise betroffen, die Arbeitslosigkeit wächst. Man sucht sein Heil im Wunderglauben oder in dubiosen Versprechungen von lukrativen Investitionen, die sich alsbald als Schwindel herausstellen. Die Fremdenfeindlichkeit nimmt zu. Der Nationalismus blüht. Denunziationen sind an der Tagesordnung. Juden, Frauen, Sozialdemokraten, Obdachlose sind die Opfer. Das ist spannend und aufschlussreich. Parallelen zu heutigen Zuständen sind unübersehbar. Nicht nur in Österreich.
Es ist ein Panorama aus Stimmen, mal im inneren Monolog, mal in erlebter Rede, viel im Dialog, wenig aus dem Mund einer auktorialen Erzählerin. Sehr direkt, nach dem Motto: Schaut es euch an. So geht man in die Katastrophe!
Die Sprache der Figuren, von Austriazismen durchsetzt, ähnelt oft der Ödön von Horvaths. Die Darstellung der Kinder lässt mich auch an Anna Gmeyners Roman „Manja“ denken. Eva Menasses Roman „Dunkelblum“, der eine Kleinstadt nach der faschistischen Katastrophe beschreibt, kann als passende Fortsetzung gelten.
Gedruckt wurde der Roman erst 1958 in der DDR, danach wieder vergessen, bis er 2015 im DVB Verlag wieder aufgelegt wurde, 2024 erweitert durch Lazars Essay „Made in Austria“ und ein sehr informatives biographisches Nachwort des Lazar-Experten Johann Sonnleitner.