"Little Germany - Der Duft der neuen Welt" war mein erstes Buch von Maria Nikolai. Ich bin mir aber ganz sicher, dass es nicht mein letztes gewesen sein wird, denn ich bin nach wie vor sehr beeindruckt.
"Little Germany - Der Duft der neuen Welt" ist der erste Teil eines Zweiteilers der zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt. Wir lernen hier die beiden Frauen Lissi und Julia kennen. Lissi ist ein Dienstmädchen in Stuttgart, die sich wider bessern Wissens auf den Sohn ihrer Dienstherrin einlässt. Dabei wird sie ungeplant schwanger und verliert ihre Anstellung. Lissi steht vor dem Nichts. Allein, schwanger und so gut wie mittellos beschließt sie, sich auf die Reise nach "Little Germany" in New York zu machen, das sie vom Hörensagen kennt.
Zeitgleich treffen wir auf Julia, die unglücklich in ihrer arrangierten Ehe ist. Das Leben auf dem Gut ihres Mannes macht sie unglücklich. Ihr einziger Halt ist ihr Pferd. Doch dann kommt alles anders und ihr Mann enttäuscht sie einmal mehr. Und so beschließt auch Julia, dass es für sie Zeit ist, ihrer Heimat den Rücken zu kehren.
Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und aus verschiedenen Welten kommen, treffen bei ihren Fluchtplänen unerwartet aufeinander. Schnell entwickelt sich eine tiefe und innige Freundschaft, in der jede der anderen Halt gibt. Gemeinsam wagen sie das Abenteuer New York und einen Neuanfang in einer ihnen unbekannten Welt. Nach einem gelungen Start und einer Anstellung in einer Bäckerei, gerät ihr Traum von der erfolgreichen Auswanderung gehörig ins Wanken und nicht nur ein Stolperstein liegt plötzlich in ihrem Weg.
Was für ein wunderbares Buch. Ich weiß gar nicht genau, wo ich anfangen soll, da es so viel zu sagen gibt, ich aber sicherlich einiges vergessen werde.
Kommen wir doch zunächst zum Schreibstil. Maria Nikolai hat eine unglaublich bildgewaltige Schreibkraft. Sie schreibt so eindrücklich und präzise, dass ich mir alles so gut vor meinem inneren Auge vorstellen konnte. Den Geruch der Brezeln, den Staub auf der Straße, das Geschrei der Kinder. Ich konnte die Dinge förmlich riechen und hören, so authentisch waren sie beschrieben.
Ich habe zuvor tatsächlich noch nie von Little Germany gehört und so tat sich eine für mich vollkommen fremde Welt auf. Es war so spannend diese zu entdecken und mehr über die geschichtlichen Hintergründe zu lernen. Denn die Autorin hält sich in vielen Teilen an historische Tatsachen und verwebt diese sehr gekonnt mit fiktiven Charakteren. Eine beeindruckende Welt, die mir sicherlich sehr nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.
Die beiden Protagonistinnen mochte ich unheimlich gerne. Was für starke Frauen, die so eine wunderbare Freundschaft entwickeln. Der Zusammenhalt und das füreinander Einstehen sind so schön beschrieben. Gemeinsam sind sie ein unglaublich starkes Duo, das nicht aufgibt und sich auch nicht von äußeren Widrigkeiten unterkriegen lässt. Ihr Wissen bündeln sie gekonnt um ihre Geschäftsideen immer weiter voran zu treiben.
Auch die weitern Protagonisten, die wir im Laufe der Geschichte kennenlernen, sind mir sehr schnell ans Herz gewachsen. Little Germany ist eine ganz eigene kleine Welt, mit den unterschiedlichsten Charakteren, die alle auf ihre Art einzigartig sind.
Das Buch lebt von der tollen bildgewaltigen Sprache. Aber nicht nur. Es ist einfach rundum super gelungen. Es hat alles, was für mich einen guten Roman ausmacht. Da sind die leisen Töne, aber auch die dramatischen und spannenden Szenen. Da gibt es Szenen zum mitfiebern, zum traurig sein und zum Lachen. Die Autorin schafft es die unterschiedlichsten Emotionen anzusprechen und das immer wieder im Wechsel. Zudem benutzt sie tolle Stilmittel, wie auch Zeitsprünge, die die Geschichte zu keinem Zeitpunkt langwierig wirken lassen und zudem die Möglichkeit geben, die Protagonisten über einen relativ langen Zeitraum zu begleiten.
Durch den Umfangreichen Anhang zum Ende der Geschichte wird das Buch wunderbar abgerundet. Hier erfahren wir Leser nochmal ganz genau, wo die Grenze zwischen historischen Begebenheiten und künstlerischer Freiheit der Autorin verläuft. Es gibt ein Glossar mit umfangreichen Erklärungen zu Begriffen, sowie einen kleinen Anhang mit Rezepten, der dazu einlädt noch ein bisschen länger in der Geschichte zu verweilen und auf den Spuren von Lissis Künsten zu wandeln.
Durch den Anhang wird auch klar, wie gut recherchiert das Buch ist. Die historischen Fakten werden ganz klar dargestellt und machten mir noch einmal bewusst, wie viel Recherchearbeit wohl in dem Buch stecken muss. Wir haben hier also nicht nur einen historischen Roman, der von zwei starken Frauen erzählt und uns an ihrer persönlichen Entwicklung teilhaben lässt. Nein, wir haben hier auch ein gewisses Zeitzeugnis, das historische Begebenheiten wieder aufleben lässt, von denen ich persönlich zuvor noch nie gehört hatte.
Ein rundum gelungenes Buch, das mit einem recht gemeinen Cliffhanger endet und mich ein bisschen ungeduldig Richtung Herbst schielen lässt, da ich am Liebsten jetzt schon Band 2 lesen würde. Ein Buch, das mich in Welten entführt hat, die mir zuvor fremd waren. Ein Buch, das mich unglaublich gut unterhalten und für ein paar Stunden den Alltag vergessen lassen hat. Ein Buch das mich glücklich und emotional zugleich gemacht hat und ein Buch, welches mir noch sehr lange im Gedächtnis bleiben wird. Und ein Buch, welches auf jeden Fall mit zu den besten gehört, die ich dieses Jahr gelesen habe.