Rezension zu "Gefangene im Namen Gottes" von Carolyn Jessop
Im Buch "Gefangene im Namen Gottes" berichtet Carolyn Jessop eindrücklich und ausführlich von ihrem Leben in der fundamentalistischen Kirche Jesu der Heiligen der Letzten Tage in Colorado City und von ihrer Flucht aus der Polygamistensekte.
Mit achtzehn wurde sie in die Ehe mit einem fünfzigjährigen Mann gezwungen, der bereits mit drei anderen Frauen verheiratet war.
Innerhalb von fünfzehn Jahren gebar die junge Frau acht Kinder, während ihr Mann weitere Frauen ehelichte und schwängerte. Zum Zeitpunkt ihrer Flucht war ihr einflussreicher Ehemann mit sieben Frauen verheiratet und hatte fünfundvierzig Kinder.
Carolyn erlebte die Führung der Sekte unter drei Propheten. Der letzte, Warren Jeffs, verstand sich als fleischgewordener Jesus Christus. Als solcher führte er die Mitglieder in eine extreme Richtung.
"Unsere Kinder sind die 'von Gott auserwählte Saat' predigte Jeffs, und unsere Pflicht für uns als Volk Gottes sei es, sie von allem Unreinen zu bewahren. In den FLDS-Schulen wurden die Kinder einer Gehirnwäsche unterzogen, statt unterrichtet zu werden ... Kurz nachdem Jeffs die Führung übernommen hatte, ordnete er an, dass alles weltliches Material - einschließlich Bücher - aus der Gemeinschaft verschwinden müsse."
"Und Onkel Rulon soll einmal gesagt haben, Warren habe nur einmal sein Missfallen erregt, und zwar weil er Bücher über Hitler gelesen habe. Geschichten wie diese kursierten über Warren, bevor er schließlich die Führung der FLDS übernahm. Danach nicht mehr, denn die Leute fürchteten seinen Zorn."
Jessop beschreibt viele Details, sicher auch, um das Erlebte nochmals zu verarbeiten. Sie selbst und ihrer Kinder benötigten nach ihrer Flucht therapeutische Hilfe.
Dankbar nimmt sie diese und weitere an.
Wer einem Gefängnis entkommt, der hinterfragt seine Fluchthelfer wohl selten. Die Außenwelt wird von Jessop durchgängig positiv gesehen. Alles was Therapeuten, Ärzte, Lehrer, Anwälte, ehemalige FLDS-Mitglieder ... sagen, wird geschluckt - so wie es Carolyn in der Sekte gelernt hat.
Gefragt habe ich mich auch, wie sie sich und die anderen in der Gemeinschaft verhalten hätten, wenn sie von keiner anderen Welt gewusst hätten.
Die Geschichte von Jiftach in der Bibel ist ein Beispiel dafür, dass Polygamie konfliktreich ist. Aber ist das Monogamie nicht auch? Jessops neuer Partner ist ebenfalls geschieden. Das Frauenhaus, wo die Familie nach der Flucht zeitweise unterkommt, wurde sicher nicht nur für Frauen aus polygamen Familien eingerichtet.
"Gefangene im Namen Gottes" ist ein Buch, das berührt und zum Nachdenken anregt.
Ich danke der Autorin herzlich für ihre Lebensgeschichte.
Vera Seidl