Für eine Lese-Challenge habe ich endlich in die Tat umgesetzt, was ich mir vorher schon jahrelang vorgenommen hatte: ein Reread von diesem einzigen zu ihren Lebzeiten veröffentlichten Roman von Mariama Bâ zu machen. Beim Lesen habe ich mich dann (wie schon so oft bei Rereads) gefragt, warum um alles in der Welt ich damit so lange gewartet habe…
Das schmale Werk ist eins der Bücher, bei denen ich mich noch genau an meine aufgewühlten Gedanken und Gefühle bei der Erstlektüre erinnern konnte, obwohl diese etwa fünfundzwanzig Jahre zurückliegt. Sie fiel in eine Zeit (und war auch kein Zufallsgriff), in der ich mich erstmals bewusst mit Rassismus auseinandergesetzt habe. Bâ verbindet in ihrem Briefroman, oder eher Romanbrief, die Emanzipation der jungen afrikanischen Nationen – eine philosophische und politische Haltung, die im frankophonen Westafrika mit dem damals progressiven und in den Übersetzungen heute teils problematischen Begriff „Négritude“ einherging – mit der Emanzipation der (muslimischen) westafrikanischen Frauen. Anhand verschiedener, aber eng miteinander verknüpfter Lebenswege von Frauen aus unterschiedlichen Generationen und sozialen Schichten zeigt sie, wie alte, frauenfeindliche Traditionen ganze Familien zerstören können, aber an anderen Stellen auch bröckeln oder gezielt in Frage gestellt werden – von Frauen und Männern.
Dabei schafft Bâ es, dass ich eine emotionale Nähe zu vielen der beteiligten Figuren aufbauen konnte, auch wenn ich ihre Entscheidungen und Handlungsweisen nicht immer nachvollziehen oder gutheißen konnte. Wie schon beim ersten Lesen hat mich auch jetzt wieder verblüfft, wie komplex die Figuren und ihre Lebenswege bei den wenigen Seiten doch angelegt sind. Ich mag es, wenn Figuren so menschlich-ambivalent sein dürfen, mal sperrig, mal überraschend, und oft voller Liebe, Verständnis und Großherzigkeit auch Personen gegenüber, die das auf den ersten Blick nicht „verdienen“.
Meine persönliche Lebenssituation ist eine weitgehend andere, aber Bâs Blick auf die Menschen, die Gesellschaft und auf Leid und Glück im Leben haben mich beim Lesen oft innehalten und meine eigene Werteskala reflektieren lassen. Gleichzeitig habe ich mich gefragt, was sich in den gut vierzig Jahren seit Erscheinen des Buches im Senegal bzw. grundsätzlich in der muslimischen Gesellschaft Westafrikas vielleicht verändert hat. Zu dieser Thematik werde ich sicher noch weiter lesen und recherchieren.