Cover des Buches Was man von hier aus sehen kann (ISBN: 9783832198398)
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Rezension zu Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky

Anwesenheitspflicht im eigenen Leben

von MyriamErich vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Hochtrabende Philosophie verpackt in einer mäßig spannenden Geschichte, gewürzt mit einem sympathischen Schreibstil und einem Hauch Ironie.

Rezension

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MyriamErichvor 6 Jahren

Entscheidungen und Unsicherheit sind nicht selten Gründe dafür, Menschen vor dem eigenen Leben zurückschrecken zu lassen, sich zurückzuziehen und die Schale des Lebens nur von außen zu betrachten. Über ihre Angst vergessen Menschen, wirklich zu leben, Wünsche und Träume bleiben eben nur dieselben und entwickeln sich im besten Fall zu Vorsätzen, die man sich gelobt, durchzuführen, sobald der passsende Zeitpunkt da ist. Aber wann kommt der? Auf diese Frage gibt Mariana Leky in ihrem neuesten Werk „Was man von hier aus sehen kann“ eine Antwort.

In ihrem Roman schreibt Leky von dem Wunsch, vieles zu erleben, zu sehen, aktiv teilzuhaben und der unbändigen Angst vor dem Resultat. Aus der Furcht heraus, Fehler zu begehen, halten sich ihre Protagonisten zurück, Wünsche und Träume in die Tat umzusetzen, ziehen sich komplett aus dem eigenen Leben zurück – und bereuen dies schließlich umso mehr. Paradox und doch logisch erscheint der Tatsache, dass einzig der bevorstehende Tod in der Lage ist, sie aus ihrer Zurückgezogenheit ins wirkliche Leben hineinzureißen.

„Was man von hier aus sehen kann“ ist ein lakonischer und zugleich warmherziger Roman über den Eigensinn der Menschen und ihrem Rückzug aus dem eigenen Leben. Beschrieben werden Kindheit und Weg zum Erwachsenwerden der kleinen Luise, die wohlbehütet mit ihrem besten Freund Martin in einer friedlichen Dorfgemeinschaft im hessischen Westerwald aufwächst. Ihre Großmutter Selma schafft es jedoch, das kleine Dorf durch ihre Träume in Aufruhr zu versetzen, denn alle wissen: Erscheint Selma ein Okapi im Traum, muss in den kommenden 24 Stunden einer der Mitbewohner sein Leben lassen.

Der Tod zwingt die Protagonisten schließlich dazu, den Mut aufzubringen, endlich zu leben. Denn wenn es eine Furcht gibt, die weitaus schlimmer als die vor dem Leben ist, dann ist es die vor dem Tod. Dann ist es doch besser, der Angst vor dem Leben die Stirn zu bieten. Denn der Tod kommt – so oder so. Notfalls quetscht man das ganze Leben in die letzten verbleibenden Stunden. Hauptsache man hat dann gelebt. Damit stellt die Autorin zweierlei in den Raum: Erstens die Angst vor dem Leben und dem Tod, die uns, zweitens, dazu bringen, das Leben wegzuwerfen, indem es entweder gar nicht oder in aller Kürze gelebt wird. Der Mensch erscheint demnach keineswegs als wohlbedachtes Wesen der Taten, wie Leky kritisch und ironisch feststellt.

Dies spiegelt sich ebenso in den verschiedenen Charakteren wieder. Während der Optiker in Form eines Staples begonnener Briefen seine Anläufe startet, Selma seine Liebe gestehen, ringen Luises Eltern mit der Entscheidung, sich scheiden zu lassen und das Leben vollends dem neuen Liebhaber und dem Reisen zu widmen. Einzig Bauer Häubel ist bereit, sich von seinem erfüllten Leben zu verabschieden. Doch die Erkenntnis, wen es letztendlich wirklich trifft, sorgt nicht nur bei den Protagonisten für Betroffenheit und Trauer.

Trotz der lakonischen, sachlichen und direkten Tones, macht es Leky dem Leser möglich, sich in die Gefühlslagen der Figuren hineinzuversetzen, sich mit ihnen zu identifizieren und sie mit der Zeit sogar lieb zu gewinnen. Denn jeder ist auf seine Art verschroben und skurril, was nicht zuletzt durch den Aberglauben der Dorfbewohner und die ironische Beschreibung ihrer Todesfurcht deutlich wird. Lekys Schreibstil wechselt dabei zwischen Ironie und Humor, von blumigen bis klischeehaften Beschreibungen und ernster und knapp bemessener Sprache.

Wer sich allerdings auf Basis des Klappentextes einen Roman mit Krimielementen erhofft hat, wird rigoros enttäuscht. Die Geschichte ist eine einfache Erzählung, die zu ihren Ungunsten an Spannung einbüßt und stellenweise Längen aufweist. Entschädigt wird der Leser durch skurrile und aberwitzige Szenen, in denen Luise beispielsweise ihren neuen Freund vorstellt und Anweisungen erteilt, wie sich ihre Familie zu verhalten habe.

Letztendlich bleibt Lekys Roman ein tiefsinniges Werk über die Ängstlichkeit des Menschen und seinen Hang zur Perfektion. Auch wenn Spannung und Handlung mit zunehmender Seitenzahl abnehmen, so besticht „Was man von hier aus sehen kann“ mit dem lakonischen, teilweise ironischen und aberwitzigen Ton im Schreibstil der Autorin und ihrer liebevollen Art, das Leben der Protagonistin in der friedlichen Dorfgemeinschaft zu beschreiben. Somit handelt es sich um eine kurzweilige und unterhaltsame Lektüre, die dem Leser die Antwort auf die Frage nach dem richtigen Leben keineswegs schuldig bleibt.

Darf ich leben und wenn ja, wie? Die Antwort, die Leky ihren Lesern vermittelt, bleibt stets dieselbe: Eine Anleitung für das perfekte Leben gibt es nicht. Lebe so, wie du es selbst für richtig hältst. Doch vergiss nicht, es auch wirklich zu tun. Denn der größte Fehler besteht darin, die Zeit verstreichen zu lassen.
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