„Die Preußin auf dem Zarenthron. Alexandra, Kaiserin von Russland“ von Marianna Butenschön (2012) ist eine sehr gut gelungene Biographie von Charlotte von Preußen (1798-1860), Kaiserin von Russland (1825-1855).
Die Biographie liest sich sehr schön, leicht und locker, wie ein historischer Frauenroman.
Es gibt viele Zitate aus ihrer Korrespondenz mit ihren Brüdern, Friedrich Wilhelm IV und Wilhelm von Preußen, mit ihrem Mann, Nikolaus I. (1798-1855), Kaiser von Russland, die Alexandra selbst sprechen lassen und ihr fröhliches, einnehmendes Wesen offenbaren.
Sie war allerseits, auch und insb. beim russischen Hof sehr beliebt. Sie sah wunderschön aus: hochgewachsen, schlank, mit feinen Gesichtszügen, der königlichen Haltung, aber freundlich und herzlich. Sie wusste auch für jeden ein nettes Wort, was auch sehr geschätzt wurde. Als später, nach paar Kindern, Nikolaus‘ Affäre mit einer der Hofdamen offensichtlich wurde, war der gesamte Hof auf Alexandras Seite. Sie bekam noch mehr Aufmerksamkeit und Trost ihrer Höflinge.
Sie war zwar „nur“ Frau und Mutter, hatte aber zweifelsohne Einfluss auf ihren Mann und auf manch seine Entscheidungen im politischen Bereich.
Ihre Pflichten nahm sie sehr ernst und „lieferte“, was erwartet wurde, ob es ums Kinderkriegen ging, sie hatte sieben Kinder zur Welt gebracht, oder ob es sich um die repräsentativen Pflichten handelte, bei den frau viel Ausdauer uvm. mitbringen musste, um das alles meistern zu können. Alles gelang ihr scheinbar mühelos. Sie war kinderlieb und hatte ihre Kinder sehr gern um sich. Die Kinder waren auch gern bei ihr, so Olga, die zweitälteste Tochter, deren Aufzeichnungen hier oft zitiert wurden.
Man bekommt viel von Alexandras Beziehung zu ihrem Mann mit, die auch manche Seitensprünge seinerseits und manche Flirts ihrerseits verkraften konnte. Wie Nikolaus vom Charakter her war, wird im Laufe der Erzählung auch klar.
Über die jungen Jahre von Alexander II., ihrem ältesten Sohn und später Kaiser von Russland, von seinem Verhältnis zu seiner Mutter sowie ihrem Bild von ihm erfährt man auch einiges.
Die Beschreibungen des wiederaufgebauten Winterpalasts sind so beeindruckend! Sie laden an mehreren Stellen zum Besuch ein. Heute ist es Eremitage, die Zimmernummern stehen da auch bei.
Manches hat Alexandra auch getan, was man heute unter Fehlern verbucht. Abgesehen davon, dass weder sie noch ihr Mann kaum groß auf die Nöte des Volkes geachtet und gute Lösungen zu finden versucht hätten, denn es wurde repressiv regiert und in manchen Fällen hart durchgegriffen, um die Monarchie zu erhalten, ihre Zeit haben die beiden aber lieber mit anderen Dingen zugebracht. Vergnügungssucht wurde Alexandra von mehreren ihrer Zeitgenossen attestiert. Zudem hat sie Edmond Dantes, einen Emporkömmling aus dem Elsass protegiert, der in die Geschichte als Mörder A.S. Pushkins, des großen russischen Dichters und Denkers des 18. Jahrhunderts, eingegangen ist. Auch Michail Lermontow, der den Ruf hatte, Pushkin vllt z.T. ersetzen zu können, war mit den Repressalien des Zaren konfrontiert und wurde wie Pushkin beim Duell erschossen. So gesehen, haben sich die beiden nicht gerade mit Ruhm bekleckert, was die Geschicke der rus. Literatur des 18 Jahrhunderts angeht.
Der Krimkrieg von 1853-1856, infolge dessen Nikolaus I. gestorben war, ist etwas blass dargestellt worden, aber gut, das betraf eher den Kaiser, und ich hoffe, mehr in seiner Biographie dazu, v.a. zu den eigentlichen Gründen seines Todes, lesen zu können.
In späteren Jahren begründete Alexandra russischen Tourismus in Nizza, wo sie gern die Winter verbracht hatte. Das raue Klima in St. Petersburg und Umgebung setzte ihr zunehmend zu.
Sie tat am Ende einem leid, denn sie war ernsthaft krank, wurde aber aufgrund der falschen Diagnose völlig an den Ursachen ihrer Krankheit vorbei behandelt.
Es gibt auch ein sehr schönes Nachwort, das u.a. erzählt, wer, wo, welche Andenken an Alexandra aufgestellt/veranstaltet wurden. Im Zuge der Allgemeinbildung sollte man schon so etwas wissen.
Fazit: Eine sehr schöne Biographie, die ich zum zweiten Mal nach paar Jahren gern wiedergelesen habe. Sie ist Teil 1 der Reihe „Deutsche Prinzessinnen auf dem Zarenthron“ aus der Feder von Marianna Butenschön, bemerkenswerter Historikerin, die ihre fundierten Kenntnisse der russischen Geschichte der 18-19 Jh. sehr beeindruckend in dieser Trilogie zum Ausdruck gebracht hat. Teil 2: „Maria: Kaiserin von Russland: Die Württembergerin auf dem Zarenthron“ (2015), Teil 3: „Die Hessin auf dem Zarenthron: Maria, Kaiserin von Russland“ (2017). Wenn man chronologisch lesen möchte, fängt mit Teil 2 an, geht zu Teil 1 rüber und liest anschließend den dritten Band der Reihe. Ich habe sie alle gelesen. Sie sind alle sehr gut und lesenswert.