Cover des Buches Drei starke Frauen (ISBN: 9783518421659)
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Rezension zu Drei starke Frauen von Marie NDiaye

Rezension zu "Drei starke Frauen" von Marie NDiaye

von Wolkenatlas vor 14 Jahren

Rezension

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Wolkenatlasvor 14 Jahren
Marie NDiayes Roman „Drei starke Frauen“ ist ein gewaltiges, unvergessliches Prosawerk. Ein spannendes, insistierendes Prosagebilde, für das die 1967 geborene und aus Protest gegen Nicolas Sarkozys Einwanderungspolitik mit ihrer Familie in Berlin lebende Autorin verdienterweise den begehrten Prix Goncourt, den wichtigsten Literaturpreis Frankreichs erhalten hat. In drei Teilen portraitiert sie drei starke Frauen, die sich den ihnen auferlegten Zwängen nicht beugen, die ihren eigenen Weg gehen, egal wie hoch der Preis sein mag. Im ersten Teil ist es Norah, die ihren Vater auf sein Drängen hin in Dakar besucht. Während des Besuchs tun sich unvorhersehbare Abgründe auf. Die Erinnerung an die Vergangenheit wird zu einer Art Flucht, und während Norah immer mehr über die Beweggründe hinter der Aufforderung ihres Vaters erfährt, scheint ihre eigene, mühsam hart erkämpfte heile Welt an Farbe, an Realität zu verlieren. Eine Welt, zusammen mit ihrer Tochter, die schon vor einiger Zeit erste Risse bekommen hat, als ihr Freund mit seiner Tochter bei ihr eingezogen ist. Während sie immer wieder vergeblich versucht, ihre Familie in Frankreich zu erreichen, bleibt der Leser als quasi voyeuristischer Beobachter dieses Prozesses der Entfremdung durch Erinnerung direkt am Ball. Dass Norah ihren Freund mit den beiden Kindern zufällig auf der Terrasse eines Hotels entdeckt, viele Flugstunden von daheim entfernt und diese Situation als gegeben hinnimmt, eröffnet, wie viele andere Momente, einen wiederum neuen Blickwinkel auf die Wahrnehmungsebene dieser Prosa. Eine weitere, durch das Buch durchgehende Ebene ist die metaphorische, bzw. auch eine Ebene der Symbolik der Vögel. Während es bei Khady die Krähen des Todes sind, wird Rudys innerer Kampf von einem Bussard verfolgt. Norah geht einen ganz anderen Weg, sie wird praktisch zum Symbol per se. Im zweiten (und längsten) Teil erleben wir Fanta, die zweite starke Frau, ausschließlich aus der Perspektive ihres Mannes Rudy, der als ehemaliger Lehrer nun paranoider, neurotischer und vor allem schlechter Küchenverkäufer ist. Langsam erfährt man mehr über den Grund der Rückversetzung nach Frankreich und des Lehrverbots. Eine Begegnung mit Fanta, die nur durch die wirren Gedanken des Protagonisten möglich ist. Auch hier findet ein Prozess der Erinnerung statt, der sich jedoch ganz anders auflöst, als erwartet. Im dritten (und kürzesten) Teil erleben wir, wie die junge Witwe Khady aus Geldnot zu den Verwandten ihres verstorbenen Mannes ziehen muss, dort aber, da kinderlos und unvermögend, nur geduldet und missachtet wird, bald aber nicht einmal mehr geduldet wird. Sie wird von ihrer Schwiegermutter auf ein Flüchtlingsschiff verfrachtet, um illegal nach Frankreich zu kommen, wo sie eine entfernte Verwandte aufsuchen solle, die ihr helfen würde. Ihre Flucht verläuft jedoch ganz anders als erhofft. Drei lose bis gar nicht miteinander verbundene Frauenschicksale, die dank Marie NDiayes präziser Prosa wie ein aus Stein gemeißeltes Ganzes dastehen. Wunderbar, wie fein und genau die unterschiedlichen Stimmen stilistisch wiedergegeben werden. Beeindruckend, wie lebendig und komplex die Figurenzeichnung in „Drei starke Frauen“, wie perfekt konstruiert die Gesamtform dieser drei Teile dieses „Romans“ ist. Ein Roman, der in gewisser Weise auch als Beispiel einer französischen Variante des magischen Realismus gesehen werden könnte. „Drei starke Frauen“ ist ein großartiger, origineller Roman, der Lust auf mehr Literatur von Marie NDiaye macht und ein mehr als würdiger „Prix Goncourt“ Sieger. Absolute Empfehlung.
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