Rezension zu "Der Tanz auf dem Vulkan" von Marie Vieux-Chauvet
Letztes Jahr brachte der Manesse Verlag den Roman "Töchter Haitis" von Marie Vieux-Chauvet heraus. Bis dahin war Haiti eher ein weißer Fleck auf meiner literarisch bereisten Weltkarte. Ich bin sehr dankbar, dass sich dies mit der Lektüre des genannten Romans änderte und ich nun einen weiteren Roman der Autorin entdecken durfte, mithilfe dessen ich meine Wissenslücke weiter füllen durfte. Auch im nun von Natalie Lemmens ins Deutsche übertragenen Roman "Der Tanz auf dem Vulkan" geht es um die koloniale Vergangenheit Haitis, um Rassentrennung und Unterdrückung. Dabei beruht der Roman auf hitorischen Gegebenheiten, über die wir ergänzend zum Roman auch viel im umfangreichen Anmerkungsapparat sowie dem informativen Nachwort von Kaiama L. Glover erfahren.
Gleich zu Beginn werden die haitischen Verhältnisse sehr plastisch beschrieben: Die Menschen in Port-au-Pronce erwarten die Ankunft des neuen Gouverneurs. In der Vergangenheit wussten die Koloniaherren Sorge dafür zu tragen, dass die Einheimischen ihnen nicht zu ähnlich wurden, und so erließen sie unter anderem die Verfügung, dass Einheimische barfuß zu sein hätten. Die Rassentrennung ist klar spürbar, und doch geht von den Einheimischen eine gewisse, exotisch anmutende Verführung aus, denen so mancher Kolonialherr erliegt.
Minette ist eine zentrale FIgur des Romans. Von vornherein hat man das Gefühl, dass dieses junge Mädchen die Benachteiligungen sehr aufmerksam wahrnimmt und innerlich dagegen aufbegehrt. Noch ausgeprägter als ihre Schwester ist ihr besonderes Gesangstalent, das sie aber nicht ohne Weiteres ausleben kann, da die großen Bühnen farbigen Menschen verwehrt bleiben. Doch Minette findet nicht nur in Joseph einen geduldigen Lehrer und Freund, der ihr und ihrer Schwester den Weg zur Bildung bahnt. Minette erfährt auch besondere musikalische Förderung durch die Acquaires. Ihr Plan ist es, sie auf die Theaterbühne zu bringen, was ein sehr gewagtes Vorhaben ist.
Aller Befürchtungen zum Trotze wird Minettes erster Auftritt von Publikum und Presse frenetisch bejubelt und sie wird in die Teatergruppe aufgenommen. Ihre Freude darüber wird allerdings schnell dadurch getrübt, dass sie nicht dafür entlohnt wird. Sie beginnt, für einen Vertrag und ihre gerechte Entlohnung zu kämpfen. Getrieben wird sie von ihrem idealistischen Motiv, mit den Erlösen alle Sklaven freikaufen zu wollen. Zu oft schon hat sie deren Schreie infolge von willkürlichen Folterungen der Sklaven gehört und miterlebt. Sie will dem ein Ende bereiten. Sie mus dabei jedoch selbst die schmerzhafte Erfahrung machen, dass es auch so etwas wie subtilen Rassismus gibt. Ihre erste Liebe schweitert daran, was ihr Aufbegehren gegen erlittene Ungerechtigkeiten - auch und insbesondere in ihrem nahen Umfeld - noch zusätzlich befeuert.
Im Inneren des Vulkans brodelt es zunehmend. Gemetzel nehmen zu. Es ist der Vorabend von Haitis Unabhängigkeit. Die unversöhnlichen Lager tragen ein Gemetzel aus, bei dem es auf beiden Seiten zu vielen Verlusten kommt...
In sprachlicher Hinsicht ist dieser Roman sehr angenehm zu lesen. Ich wurde in das Geschehen förmlich hinein gesogen. Die Schilderungen der Autorin sind sehr plastisch, die Protagonisten mit viel Feingefühl lebendig gezeichnet. Stereotype finden sich insbesondere zu Beginn der Geschichte zuhauf, was jedoch für das Verständnis des Romans durchaus funktional ist, insofern es die Unterschiedlichkeit von Einheimischen und Kolonisatoren, die mit willkürlicher Unterdrückung und Gewalt einhergeht, plastisch vor Augen führt. Dass die Vorgänge am Theater einem ellenlangen Tauziehen gleicht, die Gemetzel kein Ende zu nehmen scheinen, mag zum Teil etwas langatmig erscheinen, jedoch brauchen Revolutionern ihre Zeit, so dass mir dies realistisch erscheint. Minette, insbesondere als gereifte junge Frau, war mir sehr sympathisch und ich hätte mir für sie und ihre Liebsten ein anderes Ende gewünscht. Leider ist das Leben kein Wunschkonzert- auch im Roman nicht.
Alles in allem ein sehr lesenswerter Roman, den ich sehr gerne allen weiter empfehle, die gerne einen verborgenen Klassiker heben und dabei auch gerne Neues über Land und Leute erfahren möchten.