Die namenlose Ich-Erzählerin hat als Achtjährige ein furchtbares Erlebnis: Ihr wird von ihrer Lehrerin und ihrer Schulklasse klargemacht, dass „Pippi Langstrumpf“ kein valider Berufswunsch ist. Und weil sie nie Pippi Langstrumpf werden konnte, wird sie später eben – Mörderin.
Nach dem ersten Kapitel dachte ich mir nur: Was soll denn das bitte? Das Szenario ist so absurd, dass ich mich schon gefragt habe, ob das Buch eine Satire sein soll. Es wirkt jedoch so ernsthaft, dass ich es dann eben für einen schlechten Thriller hielt. Mit der Erwartung habe ich weitergelesen, denn manchmal lese ich auch gern schlechte Bücher. Und so hanebüchen wie am Anfang geht es auch weiter: Die Protagonistin erzählt geradezu belanglos davon, wie sie schon im Kindergarten andere Kinder verprügelt und im Urlaub einen fremden Jungen grundlos von einer Klippe geschubst hat. Ihre Eltern verhätscheln sie nach allen Regeln der Kunst; es scheint sie überhaupt nicht zu interessieren, dass ihre Tochter andere Kinder verletzt.
Wenn die Protagonistin gerade nicht von ihrer Kindheit erzählt, mordet sie. Oder, besser gesagt, verbringt viel Zeit mit der Planung ihrer Morde. Sie späht ihre Opfer aus, ist die Wölfin, die die anderen Wölfe erledigen will.
Was zunächst völlig wahllos und absurd erscheint, bekommt im Laufe der Geschichte jedoch einen ernsthaften Hintergrund. Denn das Verhalten der Protagonistin und ihrer Eltern in ihrer Kindheit sind kein Zufall. Auch ihre Mordopfer sind kein Zufall. Alles hängt miteinander zusammen. Und es wird sehr heftig: Es geht um Entführung und Vergewaltigung von Kindern, jahrelange Gefangenschaft und schlimmste Gewalt gegen Babys.
Die Geschichte ist auf eine Art krass und überraschend, mit der ich nach dem Anfang überhaupt nicht gerechnet hätte. Und auch dann, als schon alles aufgelöst scheint, gibt es noch mal einen heftigen Twist, den ich beeindruckend grausam fand und der mich aufgewühlt zurückgelassen hat.
Ein Buch also, das schwach anfängt und zum Ende hin immer stärker wird. Das begegnet mir selten.
Aber auch die stärkeren Parts haben so ihre Probleme, denn der Schreibstil schwankt zwischen einem nüchternen, geradezu gelangweilten Ton, und den schwülstigsten, vagsten Metaphern, die man sich vorstellen kann. Trotzdem ließ sich das Buch ganz gut wegelesen, weil es viele Absätze hat und ich dadurch das Gefühl hatte, die Geschichte häppchenweise serviert zu bekommen.
Inhaltlich fand ich wiederum viele Dinge zu glatt: In beiläufig erwähnten Nebensätzen hackt die Protagonistin sich in den Polizeicomputer und schaut sich deren Ermittlungsakten an, oder sie kauft sich mal eben ein Taxi (das sie zwei Seiten später wieder als „Mietwagen“ bezeichnet). Und ihre Eltern haben zufällig genau dann ein sehr konstruiert wirkendes Gespräch darüber, dass sie ihr etwas Wichtiges verschweigen wollen, als sie gerade heimlich in deren Wohnung gekommen ist, um sie mit etwas zu überraschen.
Mein Fehler war wahrscheinlich, dieses Buch direkt nach „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl zu lesen. In Fallwickls Roman gibt es auch einen Handlungsstrang über Frauen, die sich auf die Jagd nach gewalttätigen Männern begeben, um ihnen ebenfalls Gewalt anzutun. Das ist dort deutlich besser geschrieben.