"Unperfekt verliebt" von Jodie Slaughter klang auf den ersten Blick ziemlich gut: Zwei junge Menschen, die so viel Ballast mit sich herumschleppen, viele Ängste bewältigen müssen und sich doch zueinander hingezogen fühlen. Es hörte sich nach einer Geschichte an, die sich (zwangsläufig) langsam entwickeln würde und wo der Fokus nicht sofort auf Ich kann nicht mehr ohne dich leben liegt. Doch die Autorin hat mich ziemlich überrascht...
Die achtundzwanzigjährige Aja Owens hat den Großstadt-Wahnsinn Washington, auf der Suche nach einem ruhigen Ort, hinter sich gelassen und ihre Freiheit in Greenbelt, South Carolina, gefunden. Ihrer Arbeit als Social Media Managerin geht sie von Zuhause aus nach, ihre einzige richtige Freundin ist ihre Schwägerin und einmal in der Woche taucht sie in der Stadthalle beim verrücktzugehenden Bingo ab, wo sie sich besonders mit der älteren Dame Ms. May versteht, und ansonsten nur am Rande bleibt. Als die Dame eines Nachmittages mit beiden Armen verletzt auftaucht und ihren Enkel im Schlepptau hat, erkennt sie den Mann nur an einem Muttermal seines Halses wieder, denn als sie ihn das erste Mal sah, konnte sie ihm nach ihrer Panikattacke nicht ins Gesicht gucken. Walker Abbott ist ein dreißigjähriger Sportreporter, der Greenbelt verabscheut und nur aus Charleston angereist ist, um seiner Oma während ihrer Genesungsphase unter die Arme zu greifen. Er kann es gar nicht erwarten so schnell wie möglich wieder zu verschwinden, doch sein Herz hängt nicht nur an einer Vergangenheit, vor der er davon laufen will, sondern auch an einer unvorhergesehenen Hoffnung...
Sowohl Ajas als auch Walkers persönliches Leben wird gut dargestellt und man lernt sie als Individuen kennen und zu Beginn der Geschichte funktioniert es auch super, denn den Partner fürs Leben in einer unangenehmen Situation kennen zu lernen, wo die Panik einen fest im Griff hat, und man dennoch nicht nur verstanden wird, sondern auch durch diese Person wieder zurück aus der Attacke findet, war nicht perfekt im romantischen Sinne, sondern der Vorbote, dass man es schaffen kann sich nicht mehr für seine Ängste zu schämen und ernst genommen zu werden. Und dennoch haben es sich die Beiden nicht wirklich gestattet tiefere Dialoge darüber zu führen, was zu missverständlichen Situationen führt. Aber was wäre eine Romanze ohne Drama? Und nicht einfach nur Drama, bei dem man grundlos aufeinander wütend wird, sondern eines, wo unausgesprochenes dem eigenen übervollen Kopf zum Verhängnis wird, der es nicht anders kennt, als alles zu analysieren, um sich selbst zu schützen.
Beide Protagonisten waren mir einzeln sympathisch, zusammen fand ich sie oft recht anstrengend. Und die Autorin hat mir das Gefühl gegeben mich überlistet zu haben, denn in keiner Welt, in der ich selbst mit solchen Problemen wie diese Charaktere zu kämpfen habe, hätte ich daran gedacht, dass die beiden auch zu Momenten des kompletten Loslassens fähig sind, was dem Buch sehr viele prickelnde und mehr als erotische Szenen eingehaucht hat. Nicht die Tatsache, dass ich es ihnen nicht zugetraut hätte, so spitz wie Nachbars Lumpi zu sein, war der Grund für meine Verwirrung, sondern die Intensität dieser sexuellen Begierde, die Bereitschaft fast sofort dafür verfügbar zu sein, obwohl das Zugehen auf Fremde für beide nicht immer leicht ist. Es geht sehr oft heiß her.
Was mit einer Panikattacke begann und heißer Fantasie ordentlich angeregt wurde, entwickelte sich in einem Rhythmus zwischen vorpreschen und stottern, mir fehlte auch die wirkliche Kommunikation über ihre tiefgehenden Gefühle. Statt einander Schritt für Schritt mit allen Ecken und Kanten kennen zu lernen, geht es beiden um Gefühle, die plötzlich so stark sind, dass sie körperlich ausgelebt - oder intensiv gedacht - werden. Das körperliche stand mir persönlich zu sehr im Fokus, als wenn sich die Beziehung nur darauf aufbaut und oft habe ich zurück geblättert, weil ich hoffte, einen wichtigen Dialog verpasst zu haben, oder zumindest einen inneren Monolog, der deutlich macht, wie es zu bestimmten Situationen kommen konnte.
FAZIT
"Unperfekt verliebt" lockt den Leser mit einer Geschichte, die sich großartig entwickeln könnte, nur um dann der sexuellen Seite mehr Gewicht zu verleihen. Das Feingefühl und Verstehen für die Ängste und Sorgen der Charaktere hat die Autorin auf jeden Fall, umso mehr macht es mich traurig, dass nicht das komplette Potenzial ausgeschöpft wurde.
Es gab viele Momente, wo ich über gewisse Selbsterkenntnisse heftig nicken musste und wo ich genauso gerührt war, wie Aja, als sie aus ihrer Komfortzone herauskommt und zum ersten Mal wirklich erfährt, was Freundschaft ist. Auch Walkers Vergangenheit hat gezeigt, was eine verkorkste Kindheit für das Erwachsen werden bedeutet. Der Kampf, sich seinen Ängsten zu stellen, wird am Ende des Buches noch einmal auf sehr verständliche Weise gewürdigt.
Ich glaube, dass diese beiden Protagonisten nur vollständig von Lesern verstanden werden können, die selbst seelisches Leid erfahren mussten und das Gefühl von Panik und Angst kennen. Anderen Lesern könnte es vielleicht vorkommen, als würden Aja und Walker zu dramatisch oder kindisch handeln und zu sehr auf das schlechte fixiert sein, ohne es ändern zu wollen.
"Unperfekt verliebt" ist Band eins der zweiteiligen Reihe Das große Los, aber eine abgeschlossene Geschichte.