Man muss dem Autor Mario Alberto Zambrano zugutehalten, dass die Idee für seinen Debütroman Sonne, Mond und Sterne nicht die verkehrteste war: Anhand von 53 Karten des lateinamerikanischen Glücksspiels Lotería, das ein wenig dem uns bekannten Bingo erinnert, lässt er seine Protagonistin und Icherzählerin Luz, ein 11-jähriges Mädchen, in Amerika geboren, jedoch mit mexikanischen Wurzeln, die Geschichte ihrer Familie erzählen. Gleichzeitig muss man auch dem deutschen Verlag Luchterhand anrechnen, dass er sich auf die Idee seines Autors eingelassen hat und die erzählerische Struktur der Spielkarten auch graphisch im Buch widerspiegelt: Jedem Kapitel ist eine bunt gedruckte Lotería-Karte vorangestellt, generell ist der Roman hochwertig verarbeitet und macht einen ansprechenden Eindruck.
Allein: Das war es auch schon! Denn nach 275 Seiten Lektüre ordne ich den Roman ganz klar der Kategorie „Mehr Schein als Sein“ zu. Klappt man nämlich das liebevoll gestaltete Buch auf und beginnt sich in Luz‘ Welt einzulesen, merkt man schnell, dass es dem Roman jenseits der Gestaltung an Substanz fehlt. Zambrano reiht kurze Kapitel aneinander, in denen Luz – angeregt durch das Motiv der jeweiligen Spielkarte – eine Erinnerung herauskramt und eine Episode aus ihrem Familienleben erzählt. In diesem ist nämlich vor kurzer Zeit eine schlimme, nicht näher beschriebene Tragödie passiert: die Mutter ist verschwunden, der Vater ist im Gefägnis, die Schwester liegt im Krankenhaus und Luz selber wurde in staatliche Obhut gegeben. Angedacht ist wohl, dass sich in der Darstellung der einzelnen Episoden das Bild der Familie zusammensetzt, Spannung erzeugt wird und der Leser durch die Konfrontation mit der Gedankenwelt der 11-Jährigen Nähe zu ihr empfindet – jedoch wird keines dieser Ziele erreicht! Zambrano (oder vielmehr seine Protagonistin) verliert sich nämlich in reinen Andeutung, ohne eine wirkliche Geschichte zu erzählen. Der Roman ist handlungsarm, teilweise ohne roten Faden und – so viel sein verraten – es wird bis zum Schluss nicht deutlich, was eigentlich passiert ist. Das rein assoziative Erzählen lässt zudem kein Eintauchen in das Geschilderte zu: Die Geschichte bleibt ohne Atmosphäre (auch wenn Zambrano durch das willkürliche Einstreuen spanischer Floskeln, die dann mühselig im hinten befindlichen Glossar nachgeschlagen werden müssen, bemüht ist, Authentizität zu erzeugen), die Figuren auf Distanz. Spannung? Emotionen? Fehlanzeige!
Am meisten hat mich neben dem schon erwähnten unhandlichen Glossar, dessen Benutzung einen jedes Mal aus der eh schon zusammenhangslosen Geschichte herauskatapultiert hat, gestört, wie sehr Zambrano es vermeidet, die wichtigen Themen, die in dieser Geschichte vorhanden sind, anzugehen: Eigentlich erzählt er nämlich von einer in die USA eingewanderten lateinamerikanischen Familie, deren Integration mangelhaft ist, die von Geldsorgen und Arbeitslosigkeit geplagt ist und deren „Lösungsversuche“ sich in Alkoholismus, Gewalttätigkeit und Verrohung erschöpfen. Doch statt diese einzelnen Faktoren in ihrem Zusammenhang zu analysieren und darzustellen, sich mit dem amerikanischen Einwanderungssystem zu beschäftigen und hier einen mehr denn je aktuellen Roman zu schaffen, macht er es sich einfach und zieht sich auf die Perspektive des naiven Mädchens zurück. So wird in Sonne, Mond und Sterne letztlich nur Offensichtliches geschildert, aber nicht über diese Schilderung hinausgegangen: Nichts wird eingeordnet, nichts wird motiviert und vor allem wird nichts erklärt. Der Roman bleibt inhaltslos, nutzt seine Chancen nicht und ordnet den Inhalt eindeutig der Struktur unter. Somit taugt Sonne, Mond und Sterne schlussendlich nur als Bilderbuch – zugegebenermaßen jedoch als besonders schönes.