Rezension zu "Der Geschichtenerzähler" von Mario Vargas Llosa
Die Originalausgabe dieses Buches erschien 1987 unter dem Titel „El hablador“. Die Geschichte wird auf verschiedenen Ebenen erzählt. Es gibt eine Rahmenhandlung, in der der Erzähler in der Ich-Form von seinem Besuch in Florenz erzählt, „um Peru und die Peruaner eine Zeitlang zu vergessen“, was ihm aber nicht gelingt, weil er in einer Galerie auf Fotos aus Peru stößt. Auf der zweiten Ebene berichtet der Autor aus den 50-er des letzten Jahrhunderts, als er und sein Freund Saúl Zuratas sich mit der Kultur der Machiguengas befassten, mit Forschern sprachen und eigene Reisen in den Dschungel unternahmen und den Menschen dort begegneten. Ein zweiter Bericht dieser Ebene ist in den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts angesiedelt, als der Autor sich erneut, diesmal als Fernsehmacher, mit den Ureinwohnern beschäftigte. Ebene Nr. 3 besteht aus den Geschichten des Geschichtenerzählers, der zugleich Unterhalter, Nachrichtenübermittler und das Gedächtnis des weit verstreuten Stammes ist.
Ich habe mich mit der Lektüre schwergetan, vor allem mit den Erzählungen des titelgebenden Geschichtenerzählers, da diese sehr weit von meiner eigenen Sicht auf die Welt entfernt sind. Da ging es mir wie dem Ethnologen Edwin Schneil, den der Autor über die Geschichten des Geschichtenerzählers sagen lässt: „Tja, unmöglich, sich daran zu erinnern. Was für ein Chaos! Von allem ein wenig, von den Dingen, die ihm in den Kopf kamen.“ (Suhrkamp Tb, 1. Aufl. 1998, S. 208)
Bemerkenswert fand ich dabei eigentlich lediglich die Schöpfungsgeschichte, wie sie der Geschichtenerzähler berichtet und die in Teilen derjenigen in der Bibel nicht unähnlich ist. Offenbar sehnen sich alle Menschen schon immer nach einer Erklärung für ihr Verweilen auf der Erde. (ebd., S. 156 - 160) Ebenso erging es mir mit der Jesus-Geschichte und der Erklärung für die jüdische Diaspora, die der ehemalige jüdische Freund des Autors, der nun als Geschichtenerzähler bei den Machiguengas lebt, erzählt. (ebd., S. 253ff)
Die gesamte Lebens- und Denkweise der Machiguenga ist jedoch von Grund auf so sehr anders als meine eigene, dass ich mich nicht in ihre Gedanken und Ängste hineinversetzen konnte.
Interessanter und für mich zugänglicher und verständlicher fand ich da schon den Blick von außen, den der Autor und sein Freund auf die Machiguengas warfen, besonders die Diskussion darüber, wie man sich am besten ihnen gegenüber verhalten sollte. Ist es sinnvoll, sie komplett zu meiden und in Ruhe zu lassen, weil jede Berührung mit anderen Lebensweisen ihre Kultur zerstört, wie Saúl befürchtet. Oder ist es besser, sie bestmöglich in eine sich verändernde Welt zu integrieren, weil es unvermeidlich ist, dass sie eines Tages mit anderen Lebensweisen konfrontiert werden würden und für diesen Fall sollten sie gewappnet sein, so dass sie sich zurechtfänden und nicht ausgenutzt werden, wie bereits geschehen zur Zeit des Kautschukbooms.
Vargas Llosa ist ein großartiger Erzähler, aber das Thema und der Stoff haben mir in diesem Fall trotzdem nicht so richtig gefallen. Zwei Sterne.