Cover des Buches Gespräch in der »Kathedrale« (ISBN: 9783518375150)
Rezension zu Gespräch in der »Kathedrale« von Mario Vargas Llosa

Rezension zu "Gespräch in der »Kathedrale«" von Mario Vargas Llosa

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 12 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 12 Jahren
Santiago Zavala, der Sohn eines reichen peruanischen Unternehmers, trifft bei einem Hundefänger in Lima den früheren Chauffeur seines Vaters, den Farbigen Ambrosio. Zusammen gehen beide in die Spelunke "La Catedral", wo sie bei ein paar Bier beginnen, über alte Zeiten zu plaudern. Bald geht es jedoch um wesentlich mehr, um das Leben der Beiden und ihrer Familien, bevor, während und seitdem sie sich getroffen haben, die Politik Perus insbesondere unter dem Odria-Regime, um einen skrupellosen Innenminister, zwei Prostituierte, die Zeitung, bei der Santiago inzwischen arbeitet. Wenige Werke werden, so oft und selbstverständlich als monumental bezeichnet. Tatsächlich gibt es kaum ein anderes Wort, das dieses Buch so treffend beschreiben könnte. Was im ersten Kapitel noch als eine leicht verständliche Geschichte in der Gegenwart beginnt, wird bald zu einem gigantischen Geflecht aus Vor- und Rückblenden, die sich ständig überkreuzen, sich mal kontrastieren, mal ergänzen. Nur sporadisch erkennbar durch Absätze getrennt, wechseln die Perspektiven mitunter innerhalb eines Satzes. In den komplexesten Momenten springt die Erzählung dabei zwischen vier verschiedenen Schauplätzen und Zeitebenen. Damit nicht genug, wird auch innerhalb dieser Ebenen nicht immer konsequent chronologisch erzählt, der Ausgang einzelner Schicksale, die sich über hundert Seiten erstrecken, wird mitunter schon in der ersten Erwähnung einer Person vorweggenommen. Zudem gibt es, neben dem gegenwärtigen Gespräch Santiagos und Ambrosios, einige weitere, die sich über fast über das ganze Buch erstrecken, hier und da eingeflochten, um dann drei Kapitel hintereinander nicht aufzutauchen, wobei die Auflösung, wer da eigentlich mit wem spricht, erst gegen Ende des Buches erfolgt. Noch nicht erwähnt sind innere Selbstgespräche oder Monologe, sowie die gelegentlich lang andauernde Auslassung von Namen zugunsten von Personalpronomina, was nicht eben für größere Übersichtlichkeit sorgt. Dass so ein Buch funktioniert, zeigt die erstaunlichen Fähigkeiten des Autors. Alles andere als leicht verständlich, ist Gespräch in der Kathedrale doch konsequent durchdacht und ausgeführt, Vargas Llosa verliert nicht ein einziges Mal den Überblick. Gleiches gilt für den Leser; obwohl die Handlung zum Teil seitenweise allein durch Dialog vorangetrieben wird, ist doch, zumindest ab einem gewissen Punkt, immer ersichtlich, wo man sich befindet, was gerade passiert. Es ist nicht anders denn als literarischer Kraftakt zu bezeichnen, wie hier die Geschehnisse miteinander vermischt und nach und nach ein gewaltiges Mosaik erschaffen wird. Allein aufgrund der Struktur bemerkenswert, ist der Roman auch auf der inhaltlichen Ebene gelungen. Die Schilderung korrupter südamerikanischer Politik ist dabei entlarvend und für den Leser erschreckend, letzten Endes aber, da durch ähnlich gelagerte Bücher bereits hinlänglich bekannt, noch am wenigsten erwähnenswert. Noch viel beeindruckender sind die zwischenmenschlichen Beziehungen dieses Romans, die natürlichen Dialoge, das Einfühlvermögen des Autors für jede einzelne seiner Figuren. Die Entfremdung Santiagos von seiner Familie, die stillen Leiden seines Vaters, sind außerordentlich rührend erzählt, ohne auch nur im Entferntesten ins Kitschige abzurutschen. Gespräch in der Kathedrale ist kein einfacher Roman, er erfordert vom Leser Konzentration und Durchhaltevermögen. Dem politischen Geschehen ist zum Teil nur sehr schwer zu folgen, hat man sich nicht mit der jüngeren Geschichte Perus beschäftigt. Die überragende Klasse des Werkes liegt aber ohnehin weniger darin was, sondern wie etwas erzählt wird. Jeder, der auch nur ansatzweise an der Technik eines Autors interessiert ist, wird dieses Buch lieben. Es ist ohne Zweifel ein Meilenstein und Beleg dafür, dass die Nobelpreisakademie selten eine bessere Entscheidung traf, als 2010 Mario Vargas Llosa auszuzeichnen.
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