Bereits zwei Mal habe ich meine geplante Reise nach Tansania verschoben.
Das erste Mal hatte ich so heftig auf die Gelbfieberimpfung reagiert, dass ich glaubte, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Als Folge fürchtete ich mich vor der Malariaprophylaxe, auch weil ich eine ausgeprägte Doxycyclinallergie habe, so dass ich die Reise verschob.
Präsident John Magfuli erklärte am 8. Juni 2020 Tansania für frei von Covid-19. Wenn die Angaben im Internet stimmen, gab es im ganzen Land bis heute nur 33.815 Infektionen mit dem Virus.
Trotzdem müsste ich den Weg zu meinem Reiseziel irgendwie bewältigen, was mir zurzeit beschwerlich erscheint.
Deshalb wurde die Lektüre des Reiseführers zum Ersatz für die Reise, weshalb ich mich in das Buch hineinvertiefte, wie noch nie zuvor in einen Reiseführer.
Die zauberhaften Meeresstrände im Osten hatten mich ebenso wenig gelockt wie das orientalisch geprägte Sansibar mit seinem Nelkenduft.
Safaris, so meine ich, sollte es für Löwen geben, die dann Gelegenheit erhielten, die Gattung Mensch in den Hotels und Lodges zu begaffen, vielleicht auch zu fressen. "Hier, meine verehrten Löwinnen und Löwen, sehen Sie das Boxspringbett Evolution und darauf ein Pärchen beim Akt der Fortpflanzung. Sie müssen wissen, liebe Löwinnen und Löwen, dass Menschen sich in der Regel auf solchen Gestellen in geschlossenen Räumen paaren, weil sie dazu in der Natur aufgrund ihrer Moral nicht mehr fähig sind ..."
Trekkingtouren sind schon eher nach meinem Geschmack. Doch würde ich mich nach umfangreichen Informationen über den Kilimandscharo und den Meru nicht mehr in die Masse der Gipfelstürmer einreihen wollen.
Mich interessiert die Geschichte des Landes, vor allem die Frage, was die Deutschen dort als Kolonialmacht angerichtet haben.
Im Usambaragebirge, nach dem auch die Veilchen benannt sind, würde ich fündig werden. Im östlichen Teil, im Naturschutzgebiet Amani hatten die Deutschen bereits am Ende des 19. Jahrhunderts eine Forschungsstation eingerichtet und botanische Gärten angelegt.
Das hört sich nur auf den ersten Blick gut an. Denn im Folgenden heißt es: "Große Waldgebiete wurden gerodet ... Ein Sägewerk wurde errichtet und eine Eisenbahnlinie gebaut ..." Für die Eisenbahnlinien in Deutsch-Ostafrika wurden nicht nur zahlreiche, hölzerne Bahnschwellen gebraucht, sondern sie wurden auch zum Abtransport von Holz, Elfenbein und anderen wertvollen Rohstoffen benutzt.
Die Erosion als Folge von Abholzungen gehört heute zu einem schwerwiegenden Problem der jungen Republik.
"Zu Beginn des 20. Jahrhunderts legte die deutsche Kolonialverwaltung im Südosten entlang der Eisenbahnlinie von Daressalam nach Morogoro riesige Baumwollplantagen an, die enorm viele Arbeitskräfte benötigten. Diese wurden meist zwangsverpflichtet und mussten unter miserablen Bedingungen bei schlechter Bezahlung arbeiten.
Der Maji-Maji-Aufstand war die größte Rebellion gegen die deutsche Kolonialregierung in Ostafrika und gilt als Keimzelle des tansanischen Nationalismus."
Bis zur Unabhängigkeit im Jahr 1961 mussten die Stämme noch viel Leid über sich ergehen lassen. Das Askari-Denkmal in Daressalam erinnert an die im 1. Weltkrieg gefallenen Afrikaner. Ein Krieg, der zwischen den Deutschen und Briten in einem Land ausgetragen wurde, das weder den einen noch den anderen gehörte.
"Zwischen 1909 und 1912 grub ein Team deutscher Paläontologen in Tendaguru ... mehr als ein Dutzend Dinosaurierfossilien von höchsten wissenschaftlichem Wert aus. Der bedeutendste Fund war ein Skelett des Brachiosaurus brancai, das größte Dinosaurierskelett der Welt. Es steht heute im Naturkundemuseum von Berlin." Ich kenne es seit meiner Kindheit, frage mich aber heute, was hat es in Berlin, in Deutschland zu suchen?
Nach meiner Meinung tragen wir keine Schuld an den Fehlern unserer Vorfahren, aber eine besondere Verantwortung, wenn wir in Tansania reisen. Dieser sollten wir uns bewusst sein.
Mich würden die heutigen missionarischen Einrichtungen und die der deutschen Hilfswerke besonders interessieren, um mir selbst ein Bild zu machen, ob sie Hilfe zur Selbsthilfe sind oder nur eine andere Form von Kolonialmacht.
Neben der hervorragenden Struktur des Reiseführers, dem Sprachlehrgang in Suaheli und sogar in Englisch, gefiel mir vor allem der Einsatz für den Umweltschutz. "Keinen Müll zurücklassen, auch nicht Damenbinden, Tampons, Kondome und Toilettenpapier (Brandgefahr und schlechte Verrottung) ... Toiletten benutzen, falls vorhanden, sonst alles in 15 cm tiefen Löchern, mindestens 100 m von Wasserläufen entfernt, vergraben ..."
Das seit 1896 unter Schutz gestellte Wildreservat Selous steht durch Wilderei, Uranabbau und vor allem durch den geplanten Bau einer Staumauer auf der roten Liste des gefährdeten Welterbes. So erfuhr ich durch den Reiseführer.
In einem Gebiet außerhalb der Serengeti ist geplant, einen 1500 Quadratkilometer großen Wildkorridor zu schaffen, "der nur von einem Unternehmen in Dubai genutzt werden darf, das reichen Touristen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten Jagdreisen verkauft. Wenn der Plan aufgeht, werden etwa 30000 Massai vertrieben und die lokalen Gemeinden dürfen das Weideland, das sie in der Trockenzeit nutzen, nicht mehr betreten."
"Lonely Planet Reiseführer Tansania" ist viel mehr als ein Hilfsmittel, um Tansania zu bereisen. Es ist eine Goldgrube!
Herzlich danke ich den Autorinnen und Autoren Mary Fitzpatrick, Ray Bartlett, David Else, Anthony Ham, Helena Smith und allen, die am Buch beteiligt waren.
Vera Seidl