Von zwei Ausnahmen abgesehen stammten im 16., 17. und 18. Jahrhundert alle Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation aus dem Hause Habsburg. Die wenigsten dieser Kaiser sind im historischen Bewusstsein der Deutschen heute noch präsent. Nur Fachleute wissen mit ihren Namen noch etwas anzufangen. In Vergessenheit geraten sind vor allem die Kaiser des 17. Jahrhunderts: Rudolf II., der verschrobene Sonderling und "Einsiedler von Prag"; der glücklose Matthias; Ferdinand II., der Vorkämpfer der Gegenreformation; Ferdinand III., der Komponist auf dem Kaiserthron; Leopold I., der Widersacher des Sonnenkönigs. Aktuelle deutschsprachige Biographien, die sich auf der Höhe des Forschungsstandes bewegen, liegen nur für Ferdinand III. vor. Eine stammt aus der Feder des österreichischen Historikers Lothar Höbelt, eine zweite hat Mark Hengerer vorgelegt. Hengerers Buch ist eine wissenschaftliche Biographie, die sich eher an Fachleute als an historisch interessierte Laien richtet. Der Text macht nur rund 60 Prozent des stattlichen Umfanges aus; der Rest entfällt auf Endnoten und Bibliographie. Dem Band ist eine CD mit Aufnahmen musikalischer Werke beigefügt, die am Hof Ferdinands III. entstanden sind. Der Kaiser war selbst als Komponist tätig. Hengerer geht allerdings nicht näher auf das musikalische Werk des Monarchen ein. Die Politik, der Krieg und die Diplomatie stehen in seiner Darstellung im Vordergrund.
Selten musste ein König oder Kaiser seine Herrschaft unter so schwierigen Bedingungen antreten wie es bei Ferdinand III. der Fall war. Als er 1637 seinem Vater, Kaiser Ferdinand II., nachfolgte, tobte in Mitteleuropa seit fast zwei Jahrzehnten ein Krieg, der als Dreißigjähriger Krieg in die Geschichte eingegangen ist. Der neue Kaiser stand vor der Aufgabe, einen Ausweg aus dem Krieg zu finden, der europäische Dimensionen besaß, da sich Frankreich und Schweden in den Konflikt eingeschaltet hatten. Als zweitgeborener Sohn war Ferdinand ursprünglich nicht zum Herrscher bestimmt. Zum Thronfolger rückte er erst auf, als 1619 sein älterer Bruder starb. Ferdinands Kindheit und Jugend standen ganz im Zeichen wachsender konfessioneller Spannungen und des Krieges. In den 1620er Jahren hatten die Habsburger und die Katholische Liga das Kriegsglück auf ihrer Seite. In den 1630er Jahren gerieten Österreich und Bayern, die führenden katholischen Mächte im Reich, zunehmend in die Defensive, ungeachtet einiger Siege wie 1634 bei Nördlingen über die Schweden. Der Prager Frieden von 1635 wurde nicht zum erhofften Ende des Krieges. Frankreich und Schweden heizten den Konflikt immer wieder an. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde 1648 der Westfälische Frieden geschlossen, eine wichtige Zäsur in der Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches. Bis zuletzt versuchten alle Kriegsparteien, ihre Verhandlungsposition durch militärische Siege zu verbessern. Noch Anfang 1648 fielen die Schweden zum wiederholten Male in Böhmen ein. Ferdinand III. waren nur neun friedliche Regierungsjahre vergönnt. Der Kaiser starb 1657, erst 49 Jahre alt.
Das Buch beginnt mit der Geburt des künftigen Kaisers im Juli 1608. Erstaunlicherweise fehlt eine Einleitung. Hengerer formuliert keine Fragestellungen; er bietet keinen Überblick zum Forschungsstand; er geht nicht auf die Quellen ein, die für eine Biographie Ferdinands III. zur Verfügung stehen. Vielfach zitiert Hengerer aus persönlichen Briefen des Kaisers, doch es bleibt unklar, wie umfangreich die erhaltene Korrespondenz ist. Die Biographie ist chronologisch und erzählend angelegt. Für ein wissenschaftliches Werk ist der Anteil rein beschreibender Passagen ungewöhnlich hoch. Hengerer hat ein Faible für die Schilderung von höfischen Festen und Zeremonien. Die kulturelle und religiöse Dimension des Lebens am Wiener Hof wird sehr anschaulich herausgearbeitet. Gelegentlich unterbricht Hengerer den Erzählstrom, um bestimmte Sachthemen zu erörtern, etwa Aufbau und Arbeitsweise der kaiserlichen Regierungsbehörden, die Beziehungen zwischen Kaiser und Adel, Ferdinands Verhältnis zu Böhmen und Ungarn. Auch die wichtigsten Berater des Kaisers werden vorgestellt. Das komplexe Kriegsgeschehen und das diplomatischen Ringen um den Frieden nehmen breiten Raum ein, was auch nicht anders sein kann. Hengerer zeigt Ferdinand III. als Monarchen, der seinen Pflichten gewissenhaft und diszipliniert nachkam. Der intelligente, gebildete und musisch vielseitig interessierte Kaiser war das Produkt einer Erziehung, die Pflichterfüllung, Tugendhaftigkeit und Frömmigkeit betonte. Im Gegensatz zu seinem spanischen Vetter, Philipp IV., hatte Ferdinand III. keine Mätressen und Bastarde. Sein Privatleben war einwandfrei, sein Glaube tief und inbrünstig.
Hengerer kommt dem Menschen Ferdinand nicht so nahe, wie man sich das als Leser einer Biographie wünscht. Als Persönlichkeit wird der Kaiser nur ansatzweise greifbar; sein Innerstes bleibt weitgehend unzugänglich. Hengerer betont, dass Ferdinand als Kaiser einem bestimmten Rollenbild entsprechen musste. Individuelle Bedürfnisse und Neigungen mussten hinter den Herrscherpflichten zurückstehen; für Selbstverwirklichung blieb wenig Raum. Es ist schade, dass Hengerer am Ende des Buches auf eine kritische Würdigung Ferdinands III. als Mensch und Monarch verzichtet. Die Zusammenfassung fällt enttäuschend knapp aus. Wie ist die historische Bedeutung Ferdinands III. einzuschätzen? Hengerer macht klar, dass Ferdinand vor größeren Problemen stand als ein "gewöhnlicher" Herrscher, denn er spielte eine Doppelrolle: Als Landesherr in den habsburgischen Erbländern und als Oberhaupt des Deutschen Reiches. Dem Kaiser und seinen Beratern fiel es schwer, klar umrissene Ziele zu benennen und erfolgversprechende Strategien zu entwickeln. Ferdinand III. war arbeitsam und pflichtbewusst, aber ein Herrscher ohne echte staatsmännische Begabung. Seine Räte und Generäle dienten ihm treu, waren aber mehrheitlich mittelmäßig. In Wien fehlte ein politischer Kopf vom Format des Kardinals Richelieu, wie Hengerer konstatiert (S. 342). Der Kaiser und seine Mitarbeiter waren von der komplizierten außenpolitischen und militärischen Lage oft überfordert. Dem Kreis der "großen" Habsburger wird man Ferdinand III. nicht zurechnen können. Gemessen an den Erfolgen, die sein Vater in der Anfangsphase des Dreißigjährigen Krieges erzielt hatte, fällt die Bilanz Ferdinands III. bescheiden aus. Auf dem Höhepunkt seiner Macht versuchte sich Ferdinand II. mit dem Restitutionsedikt von 1629 an einer Revision des konfessionellen Status quo im Reich. Von der Vision einer Gegenreformation auf breiter Front und einer nachhaltigen Stärkung der kaiserlichen Macht im Reich war 1648 nichts mehr übrig geblieben. Ferdinand III. musste nach allen Seiten Zugeständnisse machen, konnte empfindliche territoriale Verluste vom Reich nicht abwenden: Das Elsass ging an Frankreich, Pommern an Schweden.
Im Großen und Ganzen ist das Buch gut gelungen. Hengerer behandelt die politischen, militärischen, diplomatischen und konfessionell-religiösen Aspekte der Herrschaft Ferdinands III. kenntnisreich und in verständlicher Form. Es entsteht das Bild eines Kaisers, der sein Bestes zu geben versuchte, auch wenn seine Möglichkeiten begrenzt waren, den Lauf der Dinge zu steuern und seine Ziele zu verwirklichen. Es ist bedauerlich, dass Autor und Verlag keinen letzten Feinschliff am Text vorgenommen haben. Neben vielen Kommafehlern fallen Stilblüten ("korrupter Bürokratieautomat", S. 162), grammatikalische Fehler ("Vor und während des Reichstags", S. 325) und schiefe Formulierungen auf ("Darüber entschied der spanische König und hatte die Wahl zwischen den österreichischen Habsburgern und Frankreich", S. 240). Gleichwohl gehört das Buch in die Sammlung eines jeden Habsburg-Enthusiasten. Für die Zukunft ist zu wünschen, dass auch andere bislang von der deutschsprachigen Forschung vernachlässigte Habsburgerkaiser der Frühen Neuzeit eine Biographie erhalten, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Wer Englisch lesen kann, der kann auf einige Werke angelsächsischer Historiker zurückgreifen, etwa die Biographien Maximilians II. von Paula Sutter Fichtner (Yale University Press 2001) und Ferdinands II. von Robert Bireley (Cambridge University Press 2014).
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Juli 2016 bei Amazon gepostet)