Rezension zu "Charles I (Penguin Monarchs): An Abbreviated Life by Mark Kishlansky (2014-12-04)" von Mark Kishlansky
Seit Herbst letzten Jahres bringt der Penguin-Verlag eine neue Buchreihe heraus, die "Penguin Monarchs". Es handelt sich um Kurzbiographien aller englischen und britischen Könige und Königinnen seit dem 11. Jahrhundert. Interessanterweise beginnt die Reihe mit den letzten angelsächsischen Herrschern vor der normannischen Eroberung. Auch für Oliver Cromwell ist ein Band vorgesehen. Mittlerweile ist bereits ein halbes Dutzend von 45 geplanten Bänden erschienen. Die Bücher sind kleinformatig (13x18,5 cm) und umfassen im Schnitt nicht mehr als 150 Seiten. Sie enthalten farbige Abbildungen, Stammtafeln und kommentierte Literaturhinweise. Auch wenn eine entsprechende Angabe fehlt, ist davon auszugehen, dass sich die Bände an historisch interessierte Laien richten, die sich rasch über das Leben der englischen Monarchen informieren, aber nicht auf Lexika oder Wikipedia zurückgreifen wollen. Als Konkurrenz zur renommierten Biographienreihe "Yale English Monarchs", deren Bände eher für den wissenschaftlichen Gebrauch in Frage kommen, sind die "Penguin Monarchs" nicht gedacht. Interessant ist die neue Reihe dennoch, denn der Verlag hat zahlreiche bekannte Historikerinnen und Historiker als Autoren gewonnen. Damit ist sichergestellt, dass sich die einzelnen Kurzbiographien auf der Höhe des heutigen Forschungsstandes bewegen.
Karl I. (1600-1649), der zweite König aus dem Hause Stuart, zählte lange Zeit zu den unbeliebtesten und verhasstesten englischen Herrschern. Ihm wurde die alleinige Schuld am Ausbruch des Bürgerkrieges angelastet, der die britischen Inseln in den 1640er Jahren heimsuchte. Die schon während des Bürgerkrieges einsetzende Dämonisierung des Königs wirkt bis heute nach. Generationen britischer Historiker haben Karl I. als bösartigen Tyrannen verteufelt, der die parlamentarischen Traditionen des Landes untergraben und den Aufbau einer absolutistischen Monarchie nach kontinentaleuropäischem Vorbild angestrebt habe. Die Rebellion gegen den König, die schließlich zum Bürgerkrieg führte, gilt noch heute vielen Historikern als gerechtfertigte Notwehr gegen die verfehlte Finanz- und Religionspolitik eines Herrschers, der die Rechte und Interessen seiner Untertanen frevlerisch missachtet und mit Füßen getreten habe. Trotz seiner historischen Schlüsselrolle war Karl I. selten Gegenstand der wissenschaftlichen Biographik. In der Reihe "Yale English Monarchs" fehlt bis heute ein Band über Karl I. Seriöse Biographien über den König aus der Feder britischer Historiker lassen sich an einer Hand abzählen. Keine dieser Biographien wurde je ins Deutsche übersetzt. Hierzulande ist Karl I. weitgehend unbekannt. Das Büchlein von Mark Kishlansky ist deshalb für alle diejenigen deutschen Leser von Interesse, die sich erstmals mit Karl I. beschäftigen wollen.
Kishlansky gehört zu den führenden Experten der englischen Geschichte des 17. Jahrhunderts. In seiner biographischen Skizze Karls I. fasst er die neuere Forschung über die frühen Stuarts zusammen, zu der er selbst Bedeutendes beigetragen hat. Kishlansky begnügt sich nicht damit, einfach nur einen Überblick über Leben und Herrschaft des Königs zu vermitteln. Er verfolgt vielmehr das Ziel, das Zerrbild des Monarchen zu korrigieren, das bis in die jüngste Zeit in der wissenschaftlichen Literatur und im populären Geschichtsbewusstsein dominierte. Kishlansky verklärt seinen Protagonisten nicht zur Lichtgestalt, arbeitet aber heraus, dass viele Vorwürfe und Anschuldigungen, die traditionell gegen den König erhoben wurden, unzutreffend oder zumindest überzogen sind. Wie Kishlansky zeigt, trugen die vielen Kritiker und Feinde des Königs eine erhebliche Mitverantwortung für die Krise der späten 1630er Jahre, die schließlich eskalierte und in den Bürgerkrieg mündete. Kishlansky belegt mit zahlreichen Beispielen, dass Karl immer wieder eine erstaunliche Kompromissbereitschaft an den Tag legte und zu erheblichen Zugeständnissen an die Rebellen bereit war. Dass sich der Bürgerkrieg so lange hinzog, lag auch an der Maßlosigkeit, am Extremismus und am Fanatismus der Rebellen und nicht nur an der Uneinsichtigkeit und Verbohrtheit des Königs, wie es die ältere Geschichtsschreibung sah.
Der englische Bürgerkrieg und seine Ursachen werden seit jeher intensiv und kontrovers diskutiert. Kishlansky zeigt Karl I. als einen Monarchen, der vor kaum lösbaren Problemen stand und in seinem Gestaltungsspielraum stark eingeschränkt war. Der König herrschte über drei Reiche (England, Schottland, Irland) mit verschiedenen Verfassungsstrukturen und komplizierten, konfliktträchtigen konfessionellen Verhältnissen. Karls Bestreben, die Protestanten und Hugenotten auf dem Kontinent zu unterstützen, scheiterte am Parlament, das kein Geld für den Krieg bewilligte. Ende der 1620er Jahre musste sich Karl von seinen außenpolitischen Ambitionen verabschieden. Sein Verhältnis zum Parlament war zerrüttet. In Fragen der Außen-, Finanz- und Religionspolitik fanden König und Parlament nicht zu einem Konsens. In seiner Frustration beschloss Karl I., das Parlament künftig nicht mehr einzuberufen. Er nahm Zuflucht zu allerlei dubiosen Tricks und Kniffen, um ohne parlamentarische Zustimmung an Geld zu gelangen. Seine Finanzpolitik und auch seine religionspolitischen Missgriffe wurden ihm bald als "Tyrannei" angekreidet. Kishlansky verschweigt Karls Fehler nicht, betont aber, dass der König im Angesicht wachsender Kritik durchaus zu Kurskorrekturen und Zugeständnissen bereit war. Seine Kompromissbereitschaft fand jedoch dort ihre Grenzen, wo er den Kernbestand seiner Rechte und Kompetenzen als Monarch angetastet sah. Die überzogenen Forderungen, die seine rebellierenden englischen und schottischen Untertanen während des Bürgerkrieges an ihn richteten, nahm er erst an, als seine Lage militärisch aussichtslos war. Aber auch dies bewahrte ihn nicht vor Prozess und Hinrichtung.
Kishlansky gelingt eine behutsame Rehabilitierung Karls I., die an keiner Stelle in plumpe Lobhudelei abgleitet. Nach Jahrhunderten gehässiger Diffamierung hat es dieser missverstandene Monarch verdient, dass ein Historiker eine Lanze für ihn bricht. Als Mensch und Herrscher hatte Karl I. viele gewinnende Seiten: Er war kultiviert und kunstsinnig, von eleganter Erscheinung, ein treuer Ehemann und liebevoller Vater (ungewöhnlich für einen König des 17. Jahrhunderts). Seine Sammelleidenschaft und sein Mäzenatentum finden kaum Parallelen in der Geschichte des englischen Königtums. Wenn Karl I. als Herrscher scheiterte, dann lag das nicht an seiner "Dummheit" oder seinem "Hochmut", wie es die ältere Forschung simplifizierend behauptete. Der König auf der einen und die tonangebenden Teile der Gesellschaft auf der anderen Seite erzielten keine Einigkeit in zentralen Fragen der Innen- und Außenpolitik. Alle Akteure waren Gefangene ungelöster struktureller Probleme (Verhältnis zwischen Monarch und Parlament; Finanzsystem; konfessionelle Spaltung), deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichten. Die Umstände, mit denen Karl I. nach seiner Thronbesteigung konfrontiert war, hätten auch einen anderen Mann an seiner Stelle überfordert. Es ist zu wünschen, dass Kishlansky eines Tages eine ausführliche Biographie Karls I. schreibt. Das vorliegende Büchlein hat ihn zu mancherlei Zuspitzungen und Verkürzungen gezwungen, die nicht unproblematisch sind und sich nur vermeiden lassen, wenn einem Autor mehr Raum zur Verfügung steht, als ihn die Buchreihe "Penguin Monarchs" bietet.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Februar 2015 bei Amazon gepostet)