Rezension zu "Eden-Express: Die Geschichte meines Wahnsinns" von Mark Vonnegut
LSD war die Droge, Schizophrenie die Krankheit und Anti-Psychiatrie ein Schlagwort der Sechzigerjahre. „Turn on, tune in, drop out“ postulierte Timothy Leary. Die Phrase einer Ära stammte von Marshall McLuhan. Vielleicht wird man die Dekade einmal als eine Renaissance deuten. In einer Zukunft, die den ersten Flug zum Mond wie eine Mayflower-Geschichte begreift. Im Verständnis der Acid-Propheten waren die westlichen Gesellschaften krank, ihre Außenseiter auf einem Weg der Besserung. Ein dilettantisches Interesse an vorzivilisatorischen Kulten verstärkte die Vorstellung, psychische Erkrankungen bahnten Wege zu höheren Einsichten. Auch Mark Vonnegut sieht sich zunächst im Vorteil besseren Begreifens, vielleicht sogar einer Prädestination, soweit es um „Gott und die neuen Lebensformen“ geht: „Ich fühlte mich beschenkt und schön. Das Leben war gnädig und gütig“. Wenn Mark „Hallo Gott“ sagt, grüßt Gott freundlich zurück. Marks Wünsche stehen ganz oben auf der Liste. Der Autor zitiert Charles Manson als Gewährsmann für extreme Selbstbezogenheit: „Wenn Gott in allem ist, wie kann ich dann das Böse sein?“ Manson sattelt Ende der Sechziger von Zuhälter auf Guru und Folkmusiker um. Er singt das Ende vom Macht-Liebe-Lied in der schaurigsten Version. Im Jahr von Altamont platzen die Blütenträume der Blumenkinder. Alle sind „schräg“, mit denen Vonnegut gern zu tun hat. Bald entzieht sich der Schriftstellersohn dem Wehrdienst „mithilfe einer unheimlichen Schizophrenie-Nummer“. Noch hält er sich für einen Simulanten. Psychiatriepatienten sind für ihn „Opfer unserer abgefuckten, materialistischen, unpersönlichen, hektischen, übertechnisierten, entmenschlichenden Gesellschaft“. Während die meisten Hippies Kalifornien ansteuern, reist Mark mit seiner Geliebten Virginia in einer privaten Gegenbewegung nach British Columbia. In der kanadischen Wildnis bezieht das Paar eine Hütte, zu der keine Straße führt. Es erweitert die Wohngemeinschaft und ergründet das Prinzip Selbstversorgung.
Im Original erscheint „Eden Express“ 1975. Vonnegut erlebt seinen Ausstieg (auch) unter dem Verwertungsdruck eines Autors. Jede Verhaftung wegen ungebührlichen Aussehens verspricht poetischen Mehrwert. Er dampft vor lauter Begeisterung für subkulturelle Erscheinungsformen im Zeichen der Räucherstäbchen. Er erzählt von Ökobauern, die sich selbst vor den Pflug spannen, „statt Tiere auszubeuten und irgendwelche Maschinen zu benutzen.“ Ein antitechnischer Affekt knüpft an das magische Denken. Der Autor wird sich seiner Krankheit in einer Umgebung bewusst, die dazu einlädt, Symptome zu delegieren. Vonnegut erlebt seine Schizophrenie zunächst wie einen Geburtsschmerz des neuen Menschen, der im „mystischen Einssein mit allem“ verschmilzt: „Als ich dann anfing, Stimmen zu hören, (nahm ich an) dass alle Stimmen hörten. Ich erkundigte mich ( ): „Und was erzählen euch eure Stimmen so?“
Für die Kommunarden ist Rationalität ein Übel. Die Gruppe befindet sich auf der Suche „nach unbekannten Formen des Denkens“. Manche haben schon beim Gemüseanbau Bedenken, sie streben eine Ernährung auf der Basis von Wildpflanzen an. „Mir kam der Gedanke, ob ich den Bäumen wohl wehtat, und ich fing an, mich bei ihnen zu entschuldigen.“
Allmählich zwingt der persönliche Wahnsinn Vonnegut in eine Differenzierung zum allgemeinen Wahnsinn „der neuen Horizonte und Durchbrüche“ in Angelegenheiten wie „Politik, Drogen, Sex, Religion, Ernährung“. Ich setze Eifersucht dazu. Die späten Hippies verlangen von sich Askese im negativen Gefühlsspektrum. Hass ist ihnen suspekt, Wut erscheint fragwürdig – und so auch Eifersucht. Virginia schläft mit Vincent, dann heult sie in seinen Armen, weil sie „Mark wehgetan“ hat.
Wo Kontrollverlust angestrebt wird, fällt pathologisch unkontrolliertes Verhalten nicht unbedingt auf. Das Zauberwort lautet Verdrängung. Der kanadische Urwald erscheint dem Kollektiv wie eine Instanz gegen Verdrängung. Nur als Beispiel für die Terminologie: „Möglich, dass diese Gefühle den Ausbruch verdrängter Homosexualität darstellten, was klinisch natürlich furchtbar signifikant wäre“. Und so weiter. Doch kommt es soweit, dass Vonnegut glaubt, ein Erdbeben ausgelöst zu haben. Die Vorstellung, psychische Erkrankungen seien ein „Mythos“ und Schizophrenie sei „eine gesunde Reaktion auf eine kranke Welt“ verblasst.
Mark Vonnegut, „Eden-Express - Die Geschichte meines Wahnsinns“, Berlin Verlag, 384 Seiten, 19,99 Euro