Cover des Buches Alpha & Omega (ISBN: 9783895614736)
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Rezension zu Alpha & Omega von Markus Orths

Quantenphysischer und -psychischer SciFi für Anfänger und Lachlustige

von thursdaynext vor 9 Jahren

Rezension

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thursdaynextvor 9 Jahren
Was verbindet einen innerlich hohlen Husky, einen exkatholischen Müllmann, eine Esoterikerin, eine Quantenphysikerin, einen schwulen Buddha, den reichsten Mann der Welt, einen Projektkünstler und einen Opa, der die längste Zeit seines Lebens versuchte, nur nach seinem Gusto zu leben?
Sie alle kreisen um Alpha und Omega. Alias Ferdinand und Sybille. Beginnend in den 1980er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, erzählt diese Geschichte Elias Zimmermann, ein von einem Bibliotheksroboter zum Versuch der Verhinderung des endgültigen Weltuntergangs zurück in die Vergangenheit geschicktes, nur aus Geist bestehendes Phantom.
Verwirrend? Nein. Nur in der Kurzversion des Plots. Elias beginnt am Anfang und nimmt die Leser mit in diese haarsträubende vergangene Welt der Zufälle und Katastrophen. Zeichnet Zeitbilder, fängt Stimmungen ein und blickt in diese ihm ungewohnte barbarische Vergangenheit, welche die per Gedankenlesen kommunizierende "Rindenschnitzermenschen" der Zeit weit nach Omega längst hinter sich gelassen haben.
Stilistisch tendiert Autor Markus Orths zu schwafelig amüsanten Endlossätzen, die der Ich - Erzähler Elias vor dem Leser ausbreitet und damit, wenn man sich an die Art der Schreibe erstmal gewöhnt hat, ein bestens funktionierendes
Kopfkino in Gang setzt. Meine eigene unselige Neigung zu Bandwurmsätzen, die wesentlich chaotischer und unstrukturierter als die des Autors sind (seine sind strukturiert und verständlich samt gelungener Interpunktion), und die daraus resultierende Liebe zu kurzen knappen Formulierungen stand mir zuerst im Wege. Markus Orths lässt seinen Erzähler zwar genüsslich abschweifen, kommt am Ende aber immer auf den Punkt. Die scheinbaren Abschweifungen entspringen einem durchgehenden Erzählstrang mit Hang zum Mäandern.

„Denn als die Kommision die konkrete Logistik der Suche durch ganz Tibet mit immer neuen Vorschlägen plante, meldete sich Tashi – ohne dass er wusste, was er gleich sagen würde – und sagte – er selber war darüber noch überraschter als alle anderen, die mit offenem Mund den progressiven Worten folgten - , sagte also, dass man in einer weltweiten Welt lebe (was?), dass der Buddhismus längst zu einer weltumspannenden Religion und zu einer weltumspannenden Philosophie geworden sei und dass man sich aus diesem Grund nicht mehr der radikalen Öffnung und Hinwendung zur weltweiten Welt entziehen könne, zur außertibetischen, außernepalesischen, zur außerasiatischen Welt, meine er, wo der Buddhismus geradezu boome (woher kannte er dieses Wort?), schon öfter seien doch Inkarnationen ranghoher Buddhas im Westen gefunden worden, warum nicht also auch eine Emmantion des aktuellen Dalai Lama?, weshalb er der Kommission den Vorschlag unterbreite – Tashi schwitzte leicht, weil er gespannt war auf das, was er jetzt sagen würde - , den Vorschlag, dass er Tashi Tengrit, sich von der tibetischen Suchkommision abspalten und in den Westen fliegen wolle, allein, nach Frankreich oder Deutschland – Tashi erbleichte -, und bei der Gelegenheit könne er nebenbei noch die eine oder andere Einladung zu Symposien oder Vorträgen annehmen, er wolle sich endlich der Welt und ihren Aufgaben stellen. (So viel hatte Tashi noch nie am Stück geredet.)

So lang sind nicht alle Sätze dieses außergewöhnlichen Zeitreise SciFis, aber ich wollte potentielle Leser vorwarnen ;).
Man trifft in diesem Roman sicher nicht auf die mittelschichtigen, gemütlichen Spießbürger von nebenan. Es sind schon spezielle Charaktere, die hier zur mehrmaligen Weltrettung antreten. Sabrina Steward, sexy Quantenphysikerin am Cern, deren Leidenschaft sich auf Zeitreisen und damit auf schwarze Löcher richtet. Buzz Monster, der reichste Mann der Welt, dessen Liebe zu Dostowjewski ihn zuerst in unzählige Identitäten, dann auf die Straße trieb und später enttäuscht von nicht funktionierender russischer Romantik zum Weltuntergangherbeiwünscher werden lässt.
„Der Mensch löscht sich, wenn er so weitermacht, ohnehin selber aus. Irgendwann. Aus Profitgier (Buzz selber: keine Ausnahme) würde man eher die Welt zerstören, als dass man auf vier Dollar fünfzig verzichtete."

Meine Lieblingsfigur ist DER SCHAMP, der Haifischfick erprobte Projektkünstler, Autor von: „Kämm dir den Lorbeer aus dem fettigen Haar (Gedichte) und (Hörspiel : „Aufstand in den Sinnscheiße – Bergwerken“ sowie „Das Greinen der Gene“, der manchmal jungen Frauen stundenlang Erich Fried Gedichte vorlesen muss bis er endlich zum Ziel kommt. Der Mann, der Buhrufe in Tüten schreit, mit Datum und Signatur versieht und für 20 Mäuse verkauft.

"Es gibt viele Anlässe, die eines Buhs! bedürfen. Wenn Sie nicht selber buhen wollen, lassen Sie buhen. Ich liefere Spitzen Buhrufe in 1a Qualität."

Geneigte Leser dürfen sich also u. a. Günter Wallraff (in winziger Nebenrolle), der den Vatikan unterwandert und den oben erwähnten Charakteren anschließen und sich mit Elias Zimmermann, dem Phantom Geist auf die Reise vom Anfang zum Ende begeben. Auf eine Kreisbahn um die drohende Apokalypse in wissenschaftlicher Diktion, Fiction und quantenphysischer Entropie.

Orths hat ein außergewöhnlichen genreerweiterndes, bereicherndes Stück SciFI Literatur geschaffen. Sein Driften durch Raum, Zeit und Black Holes; durch den gewollten Irrsinn des Kapitalismusglaubens, der eng mit den Religionen verbandelt ist und wie diese, an das Wachstum. Seine gesellschaftsspiegelnden Charaktere sind wunderbar. Sein Schreibstil bleibt gewöhnungsbedürftig. Dennoch:

Alpha & Omega - Apokalypse für Anfänger ist ein must have für Scifi Freunde, die intelligent gepflegten, wissenschaftlich untermalten Blödsinn mit aktuellem Bezug zur Gegenwart, Ironie und Humor und fundierte Allgemeinbildung schätzen.

Ein ausgemachter Leckerbissen für Freunde "Der Monkey Wrench Gang" von Edward Abbey.

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