Das vorherrschende Konsumverhalten in den Industrieländern sowie in den Oberschichten des Globalen Südens ist bekanntlich geprägt von zunehmendem Automobilverkehr, speziell in Form von SUVs, von zunehmendem Flugverkehr, von zunehmendem Fleischkonsum. Die Kernaussage des Buches von Ulrich Brand/Markus Wissen ist, dass es sich hierbei um eine 'imperiale Lebensweise' handelt, da die ökologischen und sozialen Auswirkungen nicht in den Ländern des Konsums, sondern in den armen Ländern des Südens auftreten: in Brasilien werden Kleinbauern vertrieben durch die Ausdehnung der industriellen Großfarmen, die Soja für die Fleischfabriken des Nordens liefern, in Indonesien wird der Urwald abgeholzt, um Palmölplantagen für die Erzeugung von Biodiesel anzulegen, überall zerstören Bergwerke die Lebensräume der indigenen Bevölkerung der jeweiligen Regionen.
Die bestehende Umweltpolitik (Verkauf von Verschmutzungsrechten, Umstellung der Autos auf Elektroantrieb, Förderung von erneuerbaren Energien) löst die Probleme nicht und stellt nur eine wirkungslose grüne Modernisierung des Kapitalismus dar. Stattdessen soll die imperiale durch eine 'solidarische Lebensweise' ersetzt werden. Jetzt wird es eigentlich spannend: was ist das genau? Wie gewinnt man Mehrheiten dafür? wie setzt man sie politisch durch? Wieso geht es den Menschen im Globalen Süden dadurch besser? Diese Fragen werden im letzten Kapitel nur vage, stichwortartig oder gar nicht beantwortet. Der größte Teil des Buches versucht, in hochabstrakten Soziologendeutsch zu belegen, dass die imperiale Lebensweise irgendwie mit dem Kapitalismus verbunden ist und deshalb eigentlich nicht ohne Überwindung des Kapitalismus abzuschaffen ist. Alternativprojekte wie 'Urban Gardening' werden als Vorboten einer solidarischen Lebensweise begrüßt, aber eine konkrete Strategie zur Überwindung der imperialen Lebensweise und des zugrundeliegenden Kapitalismus wird nicht vorgestellt. Es ist nicht einfach zu verstehen, wieso die Förderung von erneuerbaren Energien eine wirkungslose Modernisierung des Kapitalismus ist, ein 'Urban Gardening'-Projekt jedoch nicht.
Soja-Importe aus Brasilien stellen nur einen kleinen Prozentsatz des in Europa verwendeten Tierfutters dar, Biodiesel aus indonesischem Palmöl stellt nur einen geringen Prozentsatz des Dieselverbrauchs dar - man könnte locker auf beides verzichten und die 'imperiale Lebensweise' trotzdem beibehalten. Der größte Teil der Rohstoffimporte Deutschlands kommen aus anderen Industrieländern (USA, Kanada, Russland, Australien, Norwegen, Schweden). D.h. durch Darstellung von Einzelfällen wird ein inkorrektes Bild gezeichnet. Ein bisschen mehr empirische Recherche (Auswertung von Handelsstatistiken) hätte dem Buch nicht geschadet.
Hätten die Autoren das abstrakte Soziologendeutsch durch einfache, verständliche Umgangssprache ersetzt, und außerdem auf Wiederholungen und Zitate unbekannter Fachkollegen verzichtet, hätte das Buch wahrscheinlich nur die Hälfte der Seiten, aber den gleichen Inhalt.
Markus Wissen
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Markus Wissen
Imperiale Lebensweise
Kapitalismus am Limit
Neue Rezensionen zu Markus Wissen
In diesem Buch der beiden in Wien und Berlin lehrenden Wissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen geht es um die „Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus“. In der Art und Weise, wie sich der globale Norden nach wie vor an den sozialen und ökologischen Ressourcen des globalen Südens bedient, identifizieren die beiden Autoren eine neue Form des Imperialismus, den wir seit langem hinter uns wähnten.
Unsere Produktions- und Konsumweise setzt einen überproportionalen Zugriff auf Ressourcen, Arbeitskraft und biologische Senken im globalen Maßstab voraus. Im Endeffekt bedeutet das, dass die Ausbeutung von Mensch und Natur weiter anhält und sich sogar noch vertieft.
Die Autoren legen eine umfassende Krisenbeschreibung vor, die zeigt, wie inadäquat die aktuellen, oft technischen und markt-förmigen Problemlösungsstrategien sind. Sie beschreiben das als „imperiale Lebensweise“.
Das Buch erinnert eindringlich daran, wie notwendig eine umfassende »sozial-öko-logische Transformation« hin zu einer solidarischen Lebensweise ist und wie man ihr den Weg ebnen kann.