Rezension zu "Gloria und die Londoner Liebschaften" von Marlene Klaus
Ich bin ein großer Fan der klassischen Detektive. Sherlock Holmes oder Hercule Poirot erwärmen immer wieder mein Herz. Zum Glück gibt es auch tolle Adaptionen dieser klassischen Herren. Aber was ist eigentlich mit den Damen der Schöpfung? Miss Marple erlangte natürlich große Berühmtheit, aber ansonsten müssen wir lange suchen, um weibliche Spürnasen zu finden.Eine solche hat allerdings die Autorin Marlene Klaus mit ihrer Lady Gloria Wingfield geschaffen, eine Dame des späten 19. Jahrhunderts, beheimatet in London. In „Gloria und die Londoner Liebschaften“ stürzt sich diese Dame mitten ins Getümmel, als ein Mord in ihrem nächsten Umfeld geschieht. In diesem Buch geht es vielmehr um das Thema der Frauenbildung und kleine Liebesgeschichten, als eine Kriminalgeschichte. Diese findet nebenbei statt. Die Bezeichnung „viktorianischer Krimi“ passt wunderbar, doch man sollte das Buch nicht allein darauf beschränken, denn es bietet sehr viel mehr – und vor allem tolle Unterhaltung mit authentischer Kulisse!
Klappentext
London 1889: Lady Gloria Wingfields Projekt eines Frauenbildungsvereins nimmt Formen an. Doch am Eröffnungsabend geschieht während der Feierlichkeiten ein Mord. Das sorgt einerseits für Aufmerksamkeit für den Verein, andererseits aber für jede Menge Ärger. Zusammen mit dem Journalisten Morris beginnt Gloria, Nachforschungen anzustellen. Was ihrem Freund Lord Lyndon gar nicht gefällt. Wie sich herausstellt, hat er seine
Gründe.
Meinung
Gloria ist keine klassische Detektivin und macht diesen Gegenstand keinesfalls zu ihrem Hauptberuf – das wäre für eine Lady wohl auch nicht schicklich. Doch egal wo sie auftaucht, scheinen Verbrechen der schlimmsten Sorte zu geschehen. Und so fühlt sie sich dazu berufen, diese zu lösen: aus Nächstenliebe, Gerechtigkeit oder auch für die eigene Sache. Bisher sind drei Romane um Gloria erschienen. Der erste spielt in Verona, der zweite in Alexandria und nun mit den „Londoner Liebschaften“ lernen wir erstmals Glorias Heimat kennen. Ich kenne den zweiten Teil „Gloria und eine ägyptische Affäre“ leider nicht, doch bereits der erste Teil im idyllischen Italien hat mir sehr gut gefallen. Und daher musste nun das dritte Buch der Reihe bei mir einziehen.Man muss vorweg sagen, dass Marlene Klaus intensiv recherchiert, bevor sie ein Buch schreibt. Man kann aus dem Buch in gewisser Weise viele Interessen der Autorin herauslesen, denn sie behandelt Themen, die ihr selbst wichtig sind. Dieses Mal ist der Fokus sehr interessant gesetzt und ich fand die Themen einfach wahnsinnig gut, denn sie haben enorme Wichtigkeit. Das Buch spielt 1889, also in einer Zeit, in der die Frauen begannen, für ihre Rechte zu kämpfen, aber gern noch belächelt wurden. Für mich ist es unglaublich schwer vorstellbar, wie es in einer solchen Zeit wohl aussah. Doch dieses Bild vermittelt die Autorin so authentisch, dass ich keinerlei Vorstellungskraft benötigte. Allein ihre Beschreibungen reichten völlig aus, um einen Eindruck zu vermitteln. Die Kulisse des gerade noch viktorianischen Londons ist atemberaubend und mir gefielen die Alltagsschilderungen sehr gut.In den „Londoner Liebschaften“ geht es vor allem um den Frauenbildungsverein „Elisabeth“, den Gloria gemeinsam mit einer Freundin gründet. Über die Eröffnung berichtet natürlich die Presse und somit sind die beiden (politischen) Themen, die im Roman dominieren, gefunden: Frauenbildung und Presse im 19 Jahrhundert. Beide Themen werden toll verarbeitet, allerdings verliert die Autorin darüber manchmal den Krimi-Aspekt aus den Augen. Dennoch konnte sie mich mit dieser Storyline überzeugen. Schon allein beim Opfer des Mordes traf die Geschichte mein Herz, denn diese Person wollte ich nun wirklich nicht tot sehen. Insgesamt finde ich die Krimigeschichte auch wirklich gut ausgearbeitet, denn des Öfteren überraschten mich die Wendungen. Ich hatte bis kurz vor Ende den falschen Verdacht, kam irgendwann aber auch auf die Lösung. Die Auflösung ist übrigens auch gut gelungen.Nebenbei spielt aber Glorias Privatleben eine sehr große Rolle. Im ersten Teil lernte die Britin den arroganten Lord Lyndon kennen, der seitdem in allen Romanen ene große Rolle spielt. Inzwischen sind die beiden beim „Du“ angekommen und ein zartes Pflänzchen der Zuneigung ist entstanden. Doch in diesem Buch entdeckt Gloria ihre Schwärmerei für den Journalisten Morris – und das gefällt Alexander Lyndon so gar nicht. Für mich war dieser Handlungsfaden toll zu verfolgen, denn ich mochte Morris gar nicht. Allerdings nahm er auch sehr viel Zeit in Anspruch, was wiederum für Langatmigkeit sorgt.Natürlich gibt es noch sehr viel mehr Figuren als Gloria. Zwar ist sie die Protagonistin, doch für mich war sie nie der sympathischste Charakter des Buches. Ihre Tante Jo, die in jedem Buch eine Rolle spielt, ist ein wahrer Schatz. Und mein persönlicher Favorit ist natürlich Lord Lyndon. Ich finde, dass er eine tolle Entwicklung durchmacht und inzwischen konnte ich ihn richtig ins Herz schließen. Die anderen Nebenfiguren sind ebenfalls sehr interessant. Viele davon sind natürlich Frauen. Und einige Persönlichkeiten hat es tatsächlich gegebene. Marlene Klaus nimmt sich die Freiheit heraus, ein paar Berühmtheiten im Buch auftauchen zu lassen, doch dies ist im Anhang des Buches gekennzeichnet und erklärt und ergibt im Kontext wirklich Sinn. So dürfen wir beispielsweise Mr. Oscar Wilde und seine Frau Constance kennenlernen oder auch Florence Miller oder Sir James Ollive. Schon an diesem Umstand erkennt man die Arbeit der Recherche. Für mich war es eine sehr schöne Mischung zwischen Fiktion und historischem Roman. Der historische Anteil ist tatsächlich ein sehr großer und deshalb hat man nach dem Lesen auch das Gefühl, über diese Zeit und die Frauenrechte einiges gelernt zu haben.Der Stil der Autorin passt sich der authentischen Kulisse gut an. Lediglich über ein paar Vokabeln bin ich gestolpert, die mir für die Zeit nicht ganz angemessen erschienen. Insgesamt hält Marlene Klaus den Stil aber stringent durch. Das Buch lässt sich gut lesen und sorgt durch spritzige Dialoge für gute Unterhaltung. Manchmal tauchen aber auch Stellen auf, die etwas langatmig erscheinen. Außerdem ist am Kapitelbeginn immer eine kleine Illustration abgebildet, die wirklich toll sind. Den Titel des Buches finde ich übrigens ein bisschen fehlleitend, da die „Liebschaften“ sich eigentlich nicht auf den Mord beziehen. Aber die Alliteration bleibt natürlich im Kopf.Noch ein paar Worte zum Ende: Für mich war die Auflösung wirklich spannend, aber das Buch geht noch etwas über diese hinaus. Das Privatleben von Gloria muss schließlich ebenfalls betrachtet werden. Daher gefiel mir das letzte Kapitel außerordentlich gut, in dem Lord Lyndon und Gloria auf ihrem Landgut sind. Es war ein Ende nach meinem Geschmack! Dort wird übrigens auch angedeutet, dass der nächste Band wohl im fernen Indien spielen wird. Man darf gespannt sein.
Fazit
„Gloria und die Londoner Liebschaften“ ist ein Buch, das nicht nur mit Spannung und Überraschung glänzen kann, sondern vor allem durch authentischen Zeitgeist und eine interessante Themenwahl besticht. Darüber verliert das Buch manchmal den Krimifokus aus den Augen, was etwas schade ist. Dennoch ist für tolle Unterhaltung gesorgt, denn die anderen Themen sind mindestens genauso interessant. Es handelt sich um locker leichte Lektüre, bei der man aber durchaus etwas lernen kann. Die Figuren machen Entwicklungen durch und man schließt sie ins Herz. Insgesamt handelt es sich um einen tollen historischen Roman, dem ich gerne vier Spitzenschuhe gebe. Für mich persönlich hoffe ich sehr, dass Gloria auch in Indien das „Unglück“ anziehen wird.