Im englischen Original besteht die Reihe bereits aus elf Bänden, in denen es allesamt um Morde auf den entlegenen Shetlandinseln geht, die im Dreieck von Färöerinseln, Norwegen und Schottland liegen – im Grunde also jedes Jahr mindestens ein Mord, womit Autorin Marsali Taylor vermutlich eigenhändig die Verbrechensrate der Inseln sprengt, die zu den niedrigsten im Vereinigten Königreich zählen. 😉
Marsali selbst wuchs in der Nähe von Edinburgh, Schottland, auf. Ihre Sommerferien verbrachte die Familie in einem abgelegenen Cottage in den West Highlands, der Region, in der auch ihr ermittelnder Beamte DI Gavin Macrae lebt. Wie ihre segelnde Heldin Cass hat auch sie eine Schwäche fürs Segeln und kaufte mit dem Verdienst aus ihrem „Gap Year“ ihre erste Segeljolle. Sie studierte Englisch an der Universität Dundee, absolvierte ein einjähriges Lehramtsstudium und trat ihre erste Stelle als Englisch- und Französischlehrerin für Sekundarschüler in Aith auf den Shetlandinseln an. Und ebenfalls passend zur Protagonistin ihrer Geschichten unterrichtet Marsali Jollensegeln im örtlichen Club und ist eine begeisterte Einhandseglerin auf ihrer 8-Meter-Offshore-Yacht Karima S – dem Doppelgänger von Cass‘ Khalida.
Im Zentrum des 2014 auf Englisch erschienen Titels steht die (anfangs) 29-jährige Seglerin Cassandre „Cass“ Lynch – eine starke Frau, aber das muss man sicher sein, wenn man schon seit mehr als zehn Jahren auf unterschiedlichen Booten und Segelschiffen um die Welt reist. Cass ist eine echte Globetrotterin, die sich ein traditionelles Leben an Land auch gar nicht vorstellen kann.
Sie ist jedoch nicht nur eine begeisterte Seglerin, sondern hat auch eine faszinierende (Herkunfts-)Geschichte. Ihr Vater ist Ire, lebt aber (mit Unterbrechung) schon ihr gesamtes Leben als Bauingenieur auf den Shetlandinseln, wo er für eine Ölgesellschaft tätig war. Ihre französische Mutter – eine Opernsängerin – hat Dermot Lynch bei einem Job in Poitiers kennen- und lieben gelernt. Doch als Cass Teenagerin ist, kehrt ihre Mutter in ihre Heimat zurück – die kapriziöse Französin fühlt sich bei den bodenständigen Inselbewohnern einfach nicht zu Hause –, Cass bleibt bei ihrem Vater zurück. Und dort fühlt sie sich auch deutlich wohler, ist sie doch eine passionierte Seglerin.
Ihre Welt zerbricht, als ihr Vater beruflich an den Persischen Golf versetzt wird und sie bei ihrer Mutter in Frankreich leben muss. Die freiheitsliebende Cass hasst es, unter den gutgekleideten Französinnen zu leben, und es gelingt ihr nicht, Freundschaften einzugehen. Auch mit den Erwartungen ihrer Eltern, die allesamt ein eher konservatives Leben, eine Ausbildung oder ein Universitätsstudium beinhalten, kommt sie nicht zurecht. Sie ist noch keine 18, als sie von zu Hause wegläuft und überall auf der Welt auf (Segel-)Booten zu arbeiten beginnt. Und sie ist wirklich bereit, alles dafür zu tun, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Sie lebt viele Jahre als Nomadin, sehnt sich nach Wind und Wellen und der Weite des Lebens auf dem Meer. Dabei führt sie ein sehr einfaches Leben: Sie jobbt in den Sommermonaten auf Booten oder Schiffen, bringt als Segellehrerin Touristen das Segeln bei. Im Winter jobbt sie an Land als Kellnerin. Bis sie wieder genug Geld hat, um mit ihrem Segelboot weiterzusegeln.
Sie hat ihren Vater seit 14 Jahren nicht mehr gesehen, als ein Job sie auf die Shetlandinseln führt. Sie soll für eine Filmgesellschaft als Skipper auf einem Wikingerschiff arbeiten. In vieler Hinsicht ist es, als sei sie nie weggewesen, in anderer Hinsicht gilt es, sich an Veränderungen zu gewöhnen. Zum Beispiel daran, dass ihr Vater nicht länger in der Ölbranche arbeitet, die Shetland viel Wohlstand gebracht hat, sondern der Leiter eines Windkraftunternehmens ist, das riesige Windkraftwerke errichten und Shetland in eine (grüne) Zukunft führen will (sehr zum Unwillen vieler Inselbewohner, die nicht wollen, dass ihre Inseln verschandelt werden). Und eine neue Frau gibt es im Leben ihres Vaters auch: Maree, die Schwester der Hauptdarstellerin des Filmprojekts – eine junge Frau, die noch jünger ist als Cass.
Als Cass in den frühen Morgenstunden von einem Törn mit ihrem eigenen Boot Khalida zurückkommt, findet sie an Bord des Wikingerschiffes die Leiche der jungen Frau. Und sofort steht nicht nur Cass unter Verdacht, die neue Freundin ihres Vaters ermordet zu haben. Auch dieser selbst wird verdächtigt, sich Marees nach einem Streit entledigt zu haben.
Cass lässt es sich jedoch nicht nehmen, selbst zu ermitteln, und findet heraus, dass alles noch viel komplizierter ist, als es auf den ersten Blick scheint … und weil das so ist, soll an dieser Stelle auch nur angedeutet werden, dass der Werbetext nicht ganz korrekt ist. Aber wenn man Genaueres verraten würde, wäre das schon zu viel gesagt. 😉
Marsali Taylor erweist sich im Auftaktband ihrer Shetlandreihe als packende Erzählerin. Sie erzählt sehr flüssig und bildhaft. Anfangs war ich ein wenig enttäuscht, dass sie mit den Landschaftsbeschreibungen ein wenig sparsam umgeht, aber wenn es dann an die Beschreibungen des Segelns geht, an die des Meeres, ändert sich dies schlagartig. Darüber hinaus zogen sich die ersten Kapitel ein wenig hin, und ich brauchte eine Weile, um in die Handlung hineinzufinden, doch dann entpuppte sich die Geschichte als echter Pageturner. Interessant hier auch, dass diese über weite Strecken nicht chronologisch erzählt wird. Die Autorin flechtet vieles in Rückblicken ein, Gedanken an die Vergangenheit, denen Cass während der Befragung durch DI Gavin Macrae nachhängt.
Letzterer bleibt in diesem Buch noch sehr blass, aber ich hoffe, das wird sich in den zukünftigen Bänden noch ändern – nur so viel sei verraten: Er ist ein ruhiger, Kilt tragender Hochländer von 34 Jahren, der mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder auf einer Farm an einem Fjord im Westen des Landes lebt und beruflich als DI in Inverness arbeitet. Und er bringt Verdächtige gern damit aus dem Konzept, dass er während der Verhöre Angelschnüre entwirrt oder Fliegenfischköder bastelt.
Eine weitere für Cass und die Handlung wichtige Figur ist der 26-jährige Norweger Anders Johannsen. Sie hat ihn vor einer Weile in Norwegen kennengelernt, wo sie die Werft seinen Vaters wegen einiger Motorenprobleme aufgesucht hat. Da Anders nicht nur ein sehr geschickter Mechaniker ist, sondern auch noch einige Seemeilen für einen Seeschein benötigt, hat sie ihn eingeladen, ihn bei ihrem Job auf der Stormfogl zu begleiten. Ihn und seine „Hausratte“ mit dem einfallsreichen Namen „Ratte“. Running Gag des Buches (obwohl sicher nicht so gemeint) ist die ständige Frage, ob er wirklich nur ihr Mechaniker und platonischer Freund ist oder mehr, sieht der Norweger doch unverschämt gut aus, zieht sofort die Aufmerksamkeit aller Frauen auf sich und lebt wie Cass auf der Khalida. Am Ende des Romans erfährt man jedoch ein witziges Detail von ihm: Er hat eine verborgene Schwäche für komplexe Fantasy-Strategiespiele, was ihn irgendwie noch sympathischer macht.
Aber wie es sich für einen guten Kriminalroman gehört, gibt es neben skurrilen Inselbewohnern auch eine Reihe von Verdächtigen mit glaubwürdigen Alibis, die nicht immer die Wahrheit sagen, wenn sie von den Polizeibeamten befragt werden:
Cass könnte die junge Frau ermordert haben, weil diese eine Affäre mit ihrem Vater hatte. Dieser wiederum, weil es zu einem schrecklichen Streit zwischen den beiden (ihm und Maree) gekommen war, in dem es um seine Zeugungsfähigkeit ging. Anders könnte die junge Frau vielleicht bei einem Stelldichein ermordet haben; warum sonst sollte sie mitten in der Nacht das Wikingerschiff aufgesucht haben, wo er zur Nachtwache eingeteilt war? Oder steckt vielleicht jemand hinter der Tat, der mit der Zerstörung des Wikingerschiffes auf die Zerstörung der Natur durch die Windkraftwerke aufmerksam machen wollte und von Maree dabei erwischt wurde? Oder ist die Auflösung vielleicht doch ganz anders? Cass tut jedenfalls alles, um hinter das Geheimnis um den Mord an der jungen Frau zu kommen …
Über das Hörbuch
Gelesen wird das Hörbuch zu Mörderische Brandung von Josefine Hoffmann. Es gibt durchaus Sprecherinnen, die stärker in die einzelnen Figuren schlüpfen. Hier und da wird daher in Dialogen nicht ganz deutlich, wer gerade spricht – ob Cass oder Macrea z. B. –, aber darüber hinaus mochte ich ihre spröde Art sehr – diese passt wunderbar zur ebenso spröden Protagonistin. Bei „exotischeren“ Figuren wie z. B. Kindern läuft sie dagegen zu Hochtouren auf.
Mein Fazit: Nach kurzen Anlaufschwierigkeiten hat mich das Buch in seinen Bann gezogen. Ich werde der Serie auf jeden Fall weiter folgen.