Manchmal bekommt man noch immer diesen einen Satz zu hören „früher war alles besser“, dann frage ich gerne nach, was denn besser war!? Das Plumpsklo hinterm Haus? Die Gefahr von Wundstarrkrampf bei kleinsten Verletzungen? Die Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen? Die Kriege, insbesondere der 2. Weltkrieg und die damit verbundenen Folgen für alle? Der Umgang mit Waisen, selbst oder gerade in kirchlichen Einrichtungen? Die Selbstherrlichkeit derer, die sich als Herrenmenschen ansahen und ihre Macht an den schwächsten der Gesellschaft ausließen? Darunter auch oft genug Frauen, Ordensschwestern, die Glauben predigten und dabei der Hölle das Tor öffneten. Das Buch von Martin Auer um die Lebensgeschichte, bzw. die Kindheitsjahre seiner Mutter Trude hat mich sehr bewegt.
Der Ausdruck ist dabei ganz eigen und damit auch sehr besonders. Äußerst persönlich und stilistisch fast schon als schön zu beschreiben, obwohl es nichts zu lachen gibt.
Wo die Kinder verwaltet werden, ist es immer grau und braun.
(S. 85)
Trude ist 9, als sie im Jahr 1936 als Vollwaise in einem evangelischem Waisenhaus untergebracht wird. Ein kleines Mädchen, das Mutter- und Vaterseelen allein, nur mit ihrer Schwester zusammen, in einem Haus voller fremder Kinder landet. Der Autor lässt Trude zu Wort kommen und sie hat sehr viel zu erzählen, der Leserschaft und dem lieben Gott. Mit ihm unterhält sie sich, schildert Situationen und Begebenheiten. Lässt ihre Gefühle und Gedanken in all ihrer wundersamen kindlichen und naiven Art heraus. Dabei bemerkt man aber sehr schnell dass Trude zwar ein Kind ist, aber die Ungerechtigkeiten ihrer Umgebung ganz deutlich wahrnimmt. Es sind die Kleinigkeiten, die in ihrem Worten angesprochen harmlos scheinen, aber eine enorme Wirkung erreichen. Die täglichen Rituale in dem Waisenhaus, die einsamen Nächte, die Traurigkeit ob dem Verlust der Eltern und dem Wunsch nach Umarmung und Liebe. Die Hartherzigkeit der Fräuleins, obwohl es auch ein paar gab, die doch keine Unmenschen waren.
Trude erzählt aber auch viel aus ihrer Familie. Von den Tanten und Onkeln, von dem was war und wie es vielleicht sein könnte. So erfährt man von ihrer Liebe zur Kunst, dem Theater, dem Malen und was sie sich für ihre Zukunft wünscht. In kursiver Form dargestellt erliest man sich ihre Tagebucheinträge und oweh, wehe die Oberin findet ihr Büchlein. Mit ihr zusammen verbringt man viel Zeit und lernt all die Menschen um sie herum kennen. Ganz viele der Sätze sind im Wiener Dialekt und doch konnte ich es sehr gut lesen. Es gab dem ganzen nochmal mehr Authentizität.
Mit den Jahren im Heim kommt auch die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich an. Bei Trude merkte man ganz deutlich ihre Gesinnung und auch wenn sie immer noch ein Kind war, hat sie hinterfragt und nicht alles hingenommen, wie es seitens der Heimleitung eingetrichtert wurde. Hier gehe ich sogar so weit zu behaupten, dass ihre Eltern, auch wenn schon so früh verstorben mit ihrer Erziehung ganz viel dazu beigetragen haben, dass dieses Kind sich so entwickelt hat. Ein positiver Mensch, trotz all der negativen Erfahrungen.
Das es so gefährlich ist, anderer Meinung zu sein – nein, das ist auch nicht gut, das gefällt ihr nicht.
(S. 109)
Im Buch finden sich viele Elemente aus Rundfunkansprachen, Theaterstücken, Lieder und Gedichte. Diese sind durch die verschiedenen Schriftarten sofort erkennbar und haben noch mehr in die damalige Zeit zurückgeführt. Manchmal kamen mir diese Teile zwar etwas zu lange vor, was aber eher daran lag, dass ich einfach wieder Trude zuhören wollte.
Das Buch besteht aus 2 Kapiteln.
In dem ersten Buch kommt Trude zu Wort und dann, in dem zweiten Buch übernimmt ihr Sohn, der Autor, das Erzählen. Er schildert warum sie aufhörte mit Gott zu sprechen, wie sich ihr Umfeld veränderte, mit welchen Einschränkungen sie leben musste. Ich war erleichtert als sie aus dem Heim zu ihren Tanten kam und wieder in familiären Verhältnissen aufwachsen konnte. Doch die Zeit war noch immer geprägt von der politischen Lage und auch dies wird im Buch ganz deutlich dargestellt.
Schwierige Zeiten sind das, alle haben Angst voreinander.
(S. 106)
Gerade einmal 153 Seiten plus ein Glossar mit Begriffserklärungen umfasst dieses Buch und doch kam es mir beim Lesen vor, als wäre es unendlich lang. Man fliegt nicht durch die Seiten, sondern nimmt sehr bewusst war, was diesem Mädchen an Lebenserfahrung mit auf dem Weg gegeben wurde und was sie davon mit Sicherheit weitergab.
Für das Buch hat der Autor bereits 1997 den Wiener Kinder- und Jugendpreis erhalten. Eine sehr passende Auszeichnung und ein Buch, das zwar die Zeit um 1936 – 1945 spiegelt, aber dennoch zeitlos wirkt.
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit!
(S. 153)
Rezension verfasst von © Kerstin