Martin Birkner

Lebenslauf

Martin Birkner hat Philosophie in Wien und Neapel studiert und leitet die Edition kritik & utopie. Er beschäftigt sich mit Staats- und Kapitalismuskritik, Befreiungstheologie, radikaler Ökologie und Anarchismus.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Martin Birkner

Cover des Buches Caliban und die Hexe (ISBN: 9783854766704)

Caliban und die Hexe

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Erschienen am 01.11.2017
Cover des Buches Badespass im Höhenfreibad (ISBN: 9783844204049)

Badespass im Höhenfreibad

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Erschienen am 02.05.2011
Cover des Buches Emanzipatorische Wissenschaftskritik (ISBN: 9783854769149)

Emanzipatorische Wissenschaftskritik

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Erschienen am 01.08.2022

Neue Rezensionen zu Martin Birkner

Cover des Buches Caliban und die Hexe (ISBN: 9783854766704)
Catastrophias avatar

Rezension zu "Caliban und die Hexe" von Silvia Federici

EIn materialistisch-feministischer Klassiker
Catastrophiavor 2 Jahren

Wer sich mit materialistischem Feminismus, d.h. Feminismus, der Patriarchat und Misogynie in enger Verbindung mit dem Kapitalismus betrachtet,etwas auskennt, hat den Namen „Silvia Federici“ definitiv schon einmal gehört. Sie ist Feministin, Aktivistin, Wissenschaftlerin und eine spannende und wichtige Figur. Deshalb sollte man ihr bekanntestes Werk, „Caliban und die Hexe“, auch definitiv lesen- allerdings nicht unkritisch.

 „Caliban und die Hexe“ erschien im Original 2004 und basiert auf vorherigen Studien, die Federici schon in den 1980ern gemeinsam mit bspw. Lepopldina Fortunati durchgeführt hat. Im Buch postuliert Federici, dass die Entstehung des Kapitalismus untrennbar mit der Ausbeutung weiblicher und kolonisierter Körper verbunden ist. Mit dem Begriff der ursprünglichen Akkumulation bezieht sie sich auf Marx und kritisiert, dass er die Ausbeutung von Frauen kaum thematisiert, obwohl sie für die Entstehung des Kapitalismus und dessen Aufrechterhaltung zentral ist und deshalb auch nicht zufällig mit der Entstehung des Kapitalismus einherging.

So weit, so gut. Der erste Teil des Buchs ist eine historische Aufarbeitung, von sozialen Bewegungen im Mittelalter und ihrem Kampf gegen Enteignung und Privatisierung, von der sich ändernden Rolle der Frau im Kontext ursprünglicher Akkumulation und sehr informativ. Besonders die Auseinandersetzung mit religiösen, von der Kirche als häretisch verurteilten sozialen Bewegungen, die nach mehr Rechten und Freiheiten strebten, fand ich sehr spannend. Federici verweist auf viele blinde Flecke und so ist zumindest der erste Teil des Buchs eine gute Möglichkeit, das eigene historische Wissen zu erweitern und vor allem auch die Rolle von Frauen in sozialen Bewegungen und Protesten in den Blick zu nehmen. Auch die Verbindungen, die sie zwischen Hexenverfolgungen und Kolonialisierung herausarbeitet, sind interessant.

Bei all dem schwingt aber auch ein Aber mit. Federicis zentrale These ist, dass es sich bei den frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen um einen kapitalistisch logischen, massiven Angriff auf (aufständische) weibliche Körper handelt, um diese gefügig zu machen. Logisch dabei nicht nur, weil damit gleichzeitig tradierte, religiöse, spirituelle und magische Vorstellungen von der Welt ausgelöscht werden konnten, die der kapitalistischen Verwertungslogik im Weg standen, sondern auch, weil die Hexenprozesse eine Konsequenz einer Entwicklung seien, wonach der Körper mehr und mehr auf seine Rolle als Arbeits- und Reproduktionswerkzeug reduziert und damit eines intrinsischen Werts beraubt wurde. Die Hexenverfolgungen seien dabei insbesondere ein Angriff auf Frauen gewesen, die sich nicht gebeugt hätten, die alt und damit für die Reproduktion unbrauchbar geworden waren, die durch den Ausschluss von Erwerbsmöglichkeiten verarmt waren, die durch die Privatisierung und Enteignung nicht mehr in einer Dorfgemeinschaft oder Familie aufgefangen wurden, sondern Ballast wurden. Die späteren Anschuldigungen armer Frauen als Hexen durch ihre Nachbar*innen also auch ein Resultat der mit der Enteignung und Privatisierung einhergehenden Individualisierung, ein Klassenkampf auf nicht mehr solidarisch zu verstehender Dorfebene, quasi. Und im Zuge der Kolonialisierung ein gern genutztes Machtmittel, um Dorfgemeinschaften in Übersee zu zerstören und magische Vorstellungen auszulöschen. 

Das ist spannend, bedenkenswert und mit Sicherheit sind einige Elemente auch nicht von der Hand zu weisen. Allerdings ist es m.E. zu monokausal. Während Federici kritisiert, das misogyne und kapitalistische Gründe für die Hexenverfolgung bisher ausgeblendet wurden, tut sie nun das gleiche umgekehrt, indem sie die gesamte Hexenverfolgung nahezu ausschließlich über die Entstehung des Kapitalismus erklärt. Das führt meiner Meinung nach zu einer historisch unsauberen Relativierung des religiösen Anteils, des universalistischen Anspruchs auf kirchliche Allmacht als Gottes Stellvertreter*in auf Erden, weshalb religiöse Abweichler*innen zu bestrafen seien undsoweiterundsofort. Auch die in den Hexenprozessen verstärkte Dichotomie von guter, sich unterordnender Frau und aufrührerischer Alter, Prostituierter o.ä. ist an sich nicht neu und spiegelt sich bereits in religiösen Vorstellungen wie der Dichotomie von Heiliger vs. Hure. Die religiöse Komponente derart auszublenden, verkürzt die Thematik. Deshalb ist es m.E auch kein Zufall, dass strukturelle Ähnlichkeiten von Antijudaismus und Hexenverfolgung mehr oder weniger in einer Fußnote abgehandelt werden, obwohl auch diese klar religiös begründete Ursachen haben – dass das Gruselbild des Hexentreffens als „Hexensabbat“ direkte Bezüge auf den jüdischen Ruhetag legt, ist dabei nur eins von vielen Elementen. Natürlich handelt es sich bei dem Buch um ein feministisches und dementsprechend verstehe ich den Schwerpunkt, aber trotzdem fehlt mir hier eine Kontextualisierung . Dass Federici dann so nebenbei die Shoah relativiert, indem sie die Kolonialzeit rein zahlenmäßig mit dieser aufrechnet, letztere ebenfalls als Holocaust bezeichnet und damit sämtliche Spezifika des Holocaust ignoriert, ist dann noch das i-Tüpfelchen.

Ich hatte das Gefühl, dass Federici teilweise dem Rückschaufehler unterliegt und mehr Absichten und Kausalitäten erkennt, als sich historisch ableiten lassen, vielleicht auch, weil sie sich auch auf mittlerweile teils überholte Forschung der 1980er bezieht und durch den Fokus auf die misogyne Komponente andere Elemente ausblendet. Außerdem produziert sie durch das Monokausale auch wieder eigene Leerstellen. Leider reicht mein eigenes historisches Wissen hierzu nicht aus und daher kann ich das Folgende nicht belegen, aber ich meine mal irgendwo gelesen zu haben, dass gerade auch psychisch erkrankte oder geistig behinderte Frauen den Hexenverfolgungen zum Opfer fielen, weil man ihre Krankheiten nicht einordnen konnte – was natürlich die Gräueltaten nicht im Ansatz relativieren soll, aber wenn ich das entsprechend noch richtig im Kopf habe, wäre damit eine weitere Intention der Hexenverbrennungen benannt, die Federici auslässt. Hinzu kommt dann noch, dass zwar der allergrößte Teil der Verbrannten Frauen waren, die Verfolgung aber durchaus auch Männer betraf (auch hier würde es mich noch mehr interessieren, wie es mit gegen Geschlechterrollen verstoßenden Personen aussah). Hier müsste Federici zumindest etwas mehr ausführen, warum diese Männer dann verbrannt wurden (Entmännlichung? Mitgehangen,mitgefangen wenn ihre Verwandten getötet wurden? Davon unabhängige Bestrafung?), um ihre These der Hexenverfolgung als kapitalistisches und misogynes Unterfangen aufrechterhalten zu können. 

Das heißt nicht, dass ich ihr Buch nicht für lesenswert halte. Federici ist und bleibt für materialistischen Feminismus wichtig und das Buch ist nicht zu Unrecht ein feministischer Klassiker, aber dass sie in manchen feministischen Kreisen unkritisch abgefeiert wird, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Wie bei vielen wichtigen Büchern gilt, dass sie nicht ohne kritische Reflexion und Einordnung gelesen werden sollten. 

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Cover des Buches Caliban und die Hexe (ISBN: 9783854766155)
K

Rezension zu "Caliban und die Hexe" von Silvia Federici

Rezension Caliban und die Hexe
Kari0005vor 10 Jahren

Das Buch ist sehr gut geschrieben. Es liest sich leicht und flüssig, obwohl man auch einmal aufpassen muss, da sie in der Zeit und von A zu B/C springt und sie dadurch manchmal etwas unstrukturiert wirkt.  Ihre Thesen sind zwar sehr interessant aber nicht immer haltbar - manchmal dreht sie Marx aussagen auch einfach um oder interpretiert sie einfach neu.
Die verwendeten Begriffe Proletariat/Staat sind in der angesiedelten Zeit noch gar nicht da gewesen - es gab im Mittelalter noch keinen Staat.
Zum kritischen Lesen ist das Buch sehr gut und für Personen, denen Philosophie gefällt ist es gut zum hinterfragen der Thesen

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