Rezension zu "Richard Wagner" von Martin Geck
Prof. Dr. Martin Geck, geboren 1936 und in 2019 verstorbener Musikwissenschaftler, beschreibt uns in chronologischer Weise Richard Wagners Schaffen. Dass der Autor auch Theologie und Philosophie studiert hat, merkt man an den, Wagners Wirken nach Themengebieten veranschaulichenden, vielen spannenden Querweisen – das Literaturverzeichnis ist fast schon unerschöpflich. Man kann daraus eine große Hilfestellung für literaturwissenschaftliche Arbeiten, die philosophische Aspekte berücksichtigen möchten, gewinnen.
Es werden kurz Wagners Jugendwerk sowie Rienzi, fliegender Holländer, im Anschluss seine musikalischen Dramen Tannhäuser, Lohengrin, dann revolutionäre Dramenentwürfe wie Jesus von Nazareth und Siegfrieds Tod und schließlich der Ring des Nibelungen, vor dessen Abschluss noch Tristan und Isolde sowie die Meistersinger, und schließlich erneut der Ring (nach 12 Jahren Wiederaufnahme und Fertigstellung, und dessen vierter Teil statt Siegfrieds Tod nun Götterdämmerung heißt), und zu guter Letzt Parsifal, alle diese philosophisch, teils theologisch und vor allem musikwissenschaftlich erklärt.
Zwischen den Fließtext eingefügte Abbildungen von Wagner in verschiedenen Altersstufen (z. B. Scherenschnitt des Profils, spannende uralte Technik) sowie einiger ihm bekannten Personen und einiger Kritiker, vor allem aber Fotos von Inszenierungen seiner Stücke und ebenso eingefügte Notenschriften lockern die Textfülle ein wenig auf. Da ich lediglich über meine Kinder ein wenig musikalisch geworden bin, konnte ich zugegebenermaßen nicht alle Elemente der Notationen nachvollziehen, für die Verfolgung von Taktmaß und Tonhöhe reicht es noch. Die schriftliche Erläuterung, welche Instrumente zu welchem Zeitpunkt zum Zuge kommen, ist auch hilfreich (solange man den Klang der erwähnten Instrumente im Ohr hat).
Auflockernd waren für mich auch die hin und wieder beschriebenen privaten Irrungen und Wirrungen Wagners, z. B. in erster Ehe mit Minna verheiratet (erst später mit Cosima, aus deren Tagebüchern (ab 1869) von Geck viel zitiert wird), schmachtet er die nahe Bekannte Mathilde an. Diese bewundert Wagners Kunst, weitere Details sind nicht bekannt (jedoch nach ca. 26 turbulenten Ehejahren trennen sich Minna und Wagner – die anschließende Beziehung mit Cosima, die ebenso schon Kinder hat, klingt zunächst nach alternativem Familienmodell, da diese noch 7 Jahre lang anderweitig verheiratet bleibt). Laut Geck hat vor allem der geistige Austausch Wagner sehr in seinem Schaffen beflügelt (Sublimierung nach Freud) – wie auch immer es genau gewesen sein mag, freut dies natürlich die Nachwelt.
Es kommen in philosophischer und literarischer Hinsicht neben z. B. Mendelssohn, Schopenhauer, Nietzsche, Benjamin, Adorno, Heinrich und Thomas Mann sowie Musil auch Valéry, Baudelaire, Proust, Foucault, Barthes, Boulez und viele weitere zu Wort. Dies war das Ausschlaggebende, das mich, als eher einem Musik-Laien, hat stetig weiterlesen lassen: die Verknüpfung mehrerer Geisteswissenschaften und die internationalen Bezugnahmen mit Hilfe der vielfältigen (europäischen und russischen) Sekundärliteratur.
Besonders spannend, auch im Abgleich mit der Literatur der damaligen Zeit, finde ich das Thema der Motivik (wiederkehrende (musikalische) Elemente zur Veranschaulichung innerer Realitäten der Protagonisten, sozusagen als Gefühlsleitfaden für die Rezipienten) sowie den Einsatz symbolischer Gegenstände (z.B. Waffen, Kostbarkeiten, Regularien oder Personen(stände)), was in Mittelaltersagen schon angewandt wurde, aber nicht an Präsenz verliert. So entsteht hier nicht primär ein literarisches, sondern ein musikalisches Gewebe, wenn nicht sogar, wenn mein Eindruck beim Lesen mich nicht trügt, ein beeindruckendes Dickicht. Labyrinth oder Irrgarten, das ist hier die Frage.
Über allem schwebt das Leitmotiv „Erlösung durch Untergang“, besonders deutlich im Drama Tannhäuser, das Wagner kurz vor seinem Tod noch einmal explizit erwähnt haben soll, und dessen eklektischer Inhalt viele weiter inspiriert hat. So wird die Welt nicht nur akustisch, sondern sinnesübergreifend zur Halluzination.