Cover des Buches Das Blutbuchenfest (ISBN: 9783446244795)
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Rezension zu Das Blutbuchenfest von Martin Mosebach

Putzfrauenfußball mit dem Mann ohne Eigenschaften

von D_T_Georg vor 10 Jahren

Rezension

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D_T_Georgvor 10 Jahren

Putzfrauenfußball mit dem Mann ohne Eigenschaften


In den späten 90ern wurde viel von der sogenannten »Postmoderne« geredet. Oft genug auch geschwafelt, denn wer hätte sagen können, was nun exakt die Merkmale jener »neuen Zeit« gewesen wären. Mosebach lässt seinen Roman genau in dieser Zeit spielen. Er schreibt, verspätet allerdings, einen Versuch über die Putzfrau. Namhafte Literaten hatten in den Neunzigern so großartige Themen wie die »Kartoffel« oder die »Musikbox« entdeckt.


Seinen Roman »Das Blutbuchenfest« lässt Mosebach im Wesentlichen von einem Ich-Erzähler formulieren, der an Musils »Mann ohne Eigenschaften« erinnert. Er ist hochgebildet und empfindsam, doch dem promovierten Kunsthistoriker fehlt der Schneid. Selbst wenn andere in seiner Gegenwart über ihn lästern und ihn einen totalen Versager (im Hauptberuf ist er Sohn und lebt vom Eingemachten des Vaters) schimpfen, schreitet er nicht ein, um sich zu verteidigen, was allerdings auch die Größe der Figur ausmacht.


Die besseren Frankfurter treffen sich alle bei Merzinger, einem wortkargen Wirt, der mich in seiner Kennzeichnung stark an jenen in Köln einst so berühmten Lommerzheim erinnerte. Nach und nach wird der Charakter der Bourgeoisie deutlich, die hier versammelt ist.


Was sie eint, ist die aus Jugoslawien stammende Putzfrau Ivana, die den Dreck der feinen Herrschaften entsorgen darf. Ansonsten verbindet diese Gesellschaft ihr maßloser Hang zur Selbstinszenierung, um nicht von Egomanie zu sprechen. Allein Ivana, die einfache Putzfrau, ist Heldin der Arbeit und erleidet im Roman ein doppelt hartes Schicksal.


Die Handlung des Buches kulminiert in jenem titelgebenden Fest, das in einer rauschhaften Orgie endet. Es fließt das Blut der gleichnamigen Buche. Allerdings nicht in Frankfurt, sondern in Ivanas Heimat. Doch dafür interessiert sich schlicht niemand.


Lediglich der Erzähler macht deutlich, wie dramatisch das Schicksal ihres Landes ist. Allerdings ist in seiner Beziehung zu Ivana lange schon ein Bruch entstanden, so dass er sich nicht einmal mehr traut, mit Ivana zu sprechen.


Kann es ein Zufall sein, dass Mosebach im Jahre 2014 ein Buch herausgibt, in dem gesellschaftliche Verfallsprozesse geschildert werden und an den Krieg im Balkan erinnert wird, wo der Ausbruch des 1. Weltkrieges genau dort begann?


Haben wir die Postmoderne überwunden? Traut man Feuilleutons, so sind wir, zumindest in der Architektur angeblich wieder bei einem neuen »Realismus« angelangt. Hat sich also unsere Werteorientierung maßgeblich geändert? Solche Fragen wirft Mosebachs großartiger historischer Roman auf.


Fulminant ist dieses Werk, man muss es abermals kenntlich machen, wegen seiner herausragenden Sprache. Mit ihr malt Mosebach unglaubliche Bilder. Was sich für jeden Autor unter normalen Umständen verbietet: Sätze von einer Länge zu bilden, die beinahe die einer Buchseite umfasst, gerät bei Mosebach zum Fest.


Er verwendet sein souverän beherrschtes Instrument, um das selbst geschaffene Personal bis auf Haut und Knochen zu sezieren, ohne es den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen. Neben ihm schafft das in Deutschland zurzeit vielleicht noch Botho Strauß.


Möge Mosebach noch lange leben, um uns viele dieser rauschhaften Feste zu bescheren!

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