Cover des Buches Die Tage von Gezi (ISBN: 9783957442208)
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Rezension zu Die Tage von Gezi von Martin Niessen

"[...] Könnt ihr mir erklären, worum es hier geht?"

von Larischen vor 10 Jahren

Rezension

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Larischenvor 10 Jahren

Mai 2013 in Istanbul: Die Proteste um den kleinen innerstädtischen Gezi-Park, der einem weiteren Einkaufszentrum weichen soll, erfassen schnell große Teile der Türkei. Während es zunächst nur um die fehlende Beteiligung der Bevölkerung an dieser Entscheidung geht, weiten sich die Proteste schnell aus. Als die Polizei schließlich mit brutaler Gewalt gegen die Demonstranten vorgeht wird der Gezi-Park zum Symbol gegen die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Erdogan. Der folgenden zivilgesellschaftlichen Revolte wird brutale staatliche Polizeigewalt gegenübergestellt die zu regelrechten Straßenkämpfen in vielen Teilen des Landes führt.

In dieser realen Kulisse spielt der fiktive Roman "Die Tage von Gezi" von Martin Niessen. Wir lernen die junge Studentin Mine kennen, die sich von Anfang an an den Protesten rund um Gezi beteiligt. Auch ihr Mann Sedat ist Teil der Auseinandersetzung, allerdings auf der anderen Seite. Er arbeitet für eine Sondereinheit der Polizei und soll den Aufstand niederschlagen. Während der Proteste lernt Mine den britischen Journalisten Marc kennen. Obwohl er eigentlich nur Urlaub in Istanbul machen wollte gerät auch er in den Strudel der Ereignisse. Und dann ist da noch die deutsche Architektin Kathrin, die an einer Istanbuler Universität lehrt und den Protesten zunächst sehr zerrissen gegenüber steht.

Erzählt wird der Roman aus der Perspektive von Mine, Marc und Kathrin. Sedats Perspektive fehlt zwar, aber man bekommt über seine Frau Mine doch auch einen ausreichenden Einblick in seine Erlebnisse. Die Handlung erstreckt sich dabei vom 28. Mai bis zum 22. Juni, diese Zeitspanne deckt den größten Teil der Auseinandersetzungen ab und bietet dem Leser einen intensiven Einblick in die Proteste. Die Position die hier bezogen wird ist eindeutig klar, der Autor, der die Proteste übrigens selbst miterlebt hat, steht auf Seiten der Zivilgesellschaft und richtet sich gegen das Vorgehen der Regierung.

Die Erzählweise gefällt mir sehr gut und die Standpunkte der jeweiligen Personen wird dem Leser gut vermittelt. Wer allerdings auf einen ausschweifenden Einblick in die Gefühlswelt der Protagonisten gehofft hat ist hier falsch. Jedoch wird dem Leser ein guter Eindruck von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und deren Standpunkten zu den Protesten rund um den Gezi-Park vermittelt.
Martin Niessen beschreibt den Tagesablauf von Mine, Marc und Kathrin während dieser Zeit sehr ausführlich, sodass sich viele Wiederholungen finden lassen. Das hat mich persönlich aber zu keinem Zeitpunkt gestört, denn auch wenn seine Figuren fiktiv sind finden sie sich in einer realen Kulisse wieder und zu der gehören diese sich wiederholenden Straßenschlachten, Tränengasangriffe und Barrikadenbauarbeiten.

Martin Niessen erzählt in "Die Tage von Gezi" sehr eindrücklich von den Auseinandersetzungen rund um den Gezi-Park, sodass man sich als Leser beinahe fühlt, als wäre man dabei gewesen. Gefühle und Stimmung der Protestierenden werden hier wirklich sehr gut vermittelt.
Lediglich die Charaktere Mine und Kathrin hätten für mich noch ein wenig mehr Tiefe vertragen können, an manchen Stellen waren ihr Handeln für mich nicht ganz nachvollziehbar.

Mit "Die Tage von Gezi" macht Martin Niessen auf ein Thema aufmerksam, dass bei uns doch viel zu wenig wahrgenommen wurde und regt dazu an, sich weiter damit auseinander zu setzen. Die wenigen Tage die hier behandelt werden reichen zwar nicht um einen völligen Wandel der Regierung zu erreichen, aber langfristig wird sich zeigen ob die Proteste nur ein kurzes Aufflammen waren, oder aber die Türkei nachhaltig verändern können.

*"Hallo, ich bin Marc aus England. Könnt ihr mir erklären, worum es hier geht?" S. 35

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