Rezension zu "Meret Oppenheim – Worte nicht in giftige Buchstaben einwickeln" von Lisa Wenger
Frauen im Surrealismus? Waren zunächst nur Musen oder Models, bis Künstlerinnen wie Meret Oppenheim selbst zu Pinsel und Werkzeugen griffen und enorm starke Kunst aus weiblicher Perspektive schufen. So landete Meret Oppenheim 1936 mit gerade einmal 23 Jahren mit ihrem Kunstwerk "Déjeuner en fourrure" (So gut wie jeder kennt ihre "Pelztasse".), das im MoMA ausgestellt und später angekauft wird, einen Riesenerfolg.
Das Buch "Worte nicht in giftige Buchstaben einwickeln" ist nicht nur vom Umfang her beeindruckend, sondern auch vom Inhalt.
Neben bis Dato unveröffentlichten Briefwechseln aus sieben Jahrzehnten mit ihrer Familie, ihrem späteren Ehemann Wolfgang, FreundInnen und vielen KünstlerInnen wie z. B. André Breton, Marcel Duchamp, Hans Arp, Max Ernst und Leonor Fini, enthält das Buch die vollständigen Abbildungen Ihres 1958 selbsterstellten autobiografischen Albums "Von der Kindheit bis 1943". In diesem Album finden sich schnipselartig Kinderzeichnungen, handschriftlichen Notizen, Skizzen und eingeklebte Fotos und Briefe (u. a. der so für ihre weitere Karriere bedeutende des MoMAs). Zusammen mit den sehr persönlichen Briefen lässt sich so tief in Meret Oppenheims Inneres blicken und man versteht, warum sie darauf bestanden hat, dass diese Unterlagen bis mindestens 20 Jahre nach ihrem Tod – also bis dass auch viele ihrer Weggefährten verstorben sein würden – unter Verschluss gehalten werden sollten.
Insbesondere die Briefwechsel mit ihrer Familie lesen sich sehr unterhaltsam. Es wird darin mit Kosenamen nur so um sich geworfen ("Pipsli und Mipsli", "Hasenmütterli", "Itscheli", "Schnäderlibäsi Oile" usw.). Die Briefe an andere KünstlerInnen haben mich schon allein aufgrund Merets Sprachkreativität beeindruckt. Sie muten sehr poetisch an, so dass das Lesen – neben den vielen interessanten Fakten (auch mal Klatsch und Tratsch), die man dabei erfährt – ein großer Genuss für mich war. Auch Meret Oppenheims künstlerisches Schaffen wird durch die in ihr Privat-, Gefühls- und Berufsleben gewonnen Einblicke für mich verständlicher und ich nahm sie beim Lesen immer weniger als "nur" Künstlerin, sondern immer mehr als den (sehr faszinierenden) Menschen dahinter war.
Das so liebevoll gestaltete Buch wurde übrigens 2013 als eines der schönsten Schweizer Bücher ausgezeichnet und hat 2014 im Wettbewerb "Schönste Bücher aus aller Welt" den ersten Preis erzielt.