Selbst bei angeblich gebildeten Mitmenschen trifft man bei der Frage nach Johann Gottfried Seume auf unwissende Gesichter. Viel hat dieser deutsche Dichter nicht zu Papier gebracht. Aber der Bericht über seinen Spaziergang nach Syrakus wurde ein Bestseller, was immer das auch am Anfang des 19. Jahrhunderts geheißen haben mag. Seume wanderte von Deutschland nach Sizilien und wieder zurück, was immerhin eine Strecke von über 6000 Kilometern war. Und er machte das mit einem Paar Stiefeln, bei denen er nur wenige Male die Besohlung erneuern ließ.
Oliver Heilwagen liebt es, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein, und Kultur ist seine Leidenschaft. Also beschloss er, Seume mit dem Rad zu folgen, allerdings nur den halben Weg und das auch nicht immer. Wenn es zu bergig wurde, bestieg er einen Zug. Und am Ende auch eine Fähre, die ihn von Neapel nach Sizilien brachte.
Wer nun denkt, es handle sich hier um einen Reisebericht für Fahrrad-Enthusiasten, den muss ich enttäuschen, denn Heilwagen geht es mehr um die kulturellen und sonstige Hintergründe. Sein Fahrrad ist lediglich sein beliebtestes Transportmittel. Und viel zu den Wegen erfährt man auch nicht. Allenfalls kann man anhand von groben Skizzen und ein paar mehr oder weniger aussagelosen Fotos ahnen, wo er vielleicht entlanggefahren sein könnte. Nachahmer werden es also schwer haben. Und vielleicht gibt es auch nur wenige Kandidaten, die so etwas erwägen werden. Seume und Fahrradfreaks – diese Mischung ist eher selten.
Was also bleibt sind Heilwagens Beschreibungen und seine Vergleiche von Seumes Erfahrungen mit seinen. Doch was geben sie her? Inzwischen sind über 200 Jahre vergangen. Zwischen Seumes Welt und der heutigen liegen Epochen, die nicht spurlos an Europa vorbeigegangen sind. Natürlich kann man vor allem in Westeuropa, vom Rhein westwärts den römischen Einfluss schlecht verleugnen. Und im Mittelmeerraum besteht erst recht kein Zweifel an der beherrschenden Stellung Italiens über viele Jahrhunderte. Doch was ist davon übrig geblieben? Unter anderem dieser Frage geht Heilwagen nach.
Bis zum Ende habe ich mich gefragt, wann er das nun endlich einmal irgendwie zusammenfasst. Er tut es nicht. Vielmehr liegen ein paar Antworten zwischen den Zeilen. Versteckt in den Beschreibungen seiner Reiseerlebnisse. Am eindrucksvollsten fand ich dabei noch seine Ausführungen zur Architektur unter Mussolini. Da kann man etwas lernen. Aber ansonsten sucht man Aussagen etwas genereller Natur dann doch vergebens.
Von seinem Startpunkt in Grimma, wo Seume eine Zeit lang beim Verleger Göschen gearbeitet hatte, führt Heilwagens Reise über den Elberadweg nach Tschechien. Kurz vor der Grenze verliert ein paar Worte zum Wahlverhalten in dieser Gegend und stellt verblüfft fest, dass dort keine Abgehängten leben, die aus Versehen die deutsche Igitt-Partei wählen. Warum das so ist, erschließt sich Heilwagen nicht. Auch zu den Tschechen findet er ein paar seltsame Worte. Sie würden keine Fremdsprachen sprechen (so wenig wie Heilwagen Tschechisch beherrscht) und wollten einfach nicht das Lieblingsurlaubsland der Deutschen werden, obwohl sie es eigentlich können sollten. Dieser unverfrorene klassische deutsche Drang, anderen vorschreiben zu wollen, was sie zu tun und zu lassen haben, wird natürlich auch noch durch Heilwagens linke Weltsicht unterstützt, die sowieso alles besser weiß.
Heilwagen kann nicht begreifen, dass sowohl das für ihn seltsame Wahlverhalten als auch der seiner Meinung nach fast schon fremdenfeindliche Habitus vieler Tschechen eine gemeinsame Wurzel besitzt, die er auch anderswo auf seiner Reise wiederfindet, sie aber auch dort nicht versteht. Heimat stiftet Identität. Und Menschen brauchen Identität. Für linksorientierte Zeitgenossen scheint das unbegreiflich zu sein. Identität ist etwas, das sie wegerziehen wollen. Auch in Italien trifft er auf Menschen, die sich darüber beklagen, dass Traditionen vernichtet werden.
Es ist schon fast lustig, dass Heilwagen, der sich auf die Suche nach dem italienischen Einfluss auf die Geschichte und Kultur Europas gemacht hat, nicht verstehen will oder kann, dass Menschen Angst davor haben, dass ihnen ihre kulturelle Identität, die sich selbstverständlich auch in Traditionen widerspiegelt, durch eine kalte und zentralistische EU genommen werden könnte, die alles möglichst gleich machen möchte.
Dieser Drang linker Eliten wird sich auf Dauer als nachhaltige Förderung von Fliehkräften erweisen, die das ganze Projekt der europäischen Einigung zerstören wird. Denn Menschen wollen nicht gegängelt werden. Sie wollen nicht, dass man ihre Wurzeln vernichtet. Eigentlich müsste Heilwagen das verstehen. Mein Eindruck war jedoch, dass er daran scheitert, obwohl er doch gerade auf der Suche nach solchen Wurzeln war. Für ihn sind Kunst und Kultur solche Wurzeln. Der gemeine Bürger hingegen sieht seine Wurzel woanders, denn Kunst und Kultur waren schon immer die Spielfläche der Oberschicht oder des angeblich gebildeten Bürgertums.
Abgesehen von diesen nicht unerheblichen Unterschieden im Herangehen ist Heilwagens Reise natürlich überaus interessant. Kennt man einige der Orte seines Aufenthaltes, dann merkt man allerdings wie kurz er sie nur streift. Das ist aber wohl nicht anders möglich, will man ein solches Buch nicht überladen.
Vielleicht ist dieses Buch etwas für radelnde Intellektuelle. Ich fand es größtenteils wirklich interessant, da es auch die Weltsicht solcher Menschen enthüllt.
Auf den Spuren von Johann Gottfried Seume