Cover des Buches Die Stadt des Zaren (ISBN: 9783471351543)
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Rezension zu Die Stadt des Zaren von Martina Sahler

Eine Stadt, dem Sumpf abgerungen und auf den Knochen der Menschen gebaut

von Schmiesen vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Geschichte und fiktive Handlungsstränge harmonisch verwoben. Herrliches Panorama einer großartigen Stadt!

Rezension

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Schmiesenvor 6 Jahren
"In dieser Stadt schien alles möglich zu sein; sie hatte keine Vorgeschichte, nur eine Gegenwart und eine Zukunft."

Im Jahr 1703 setzt Zar Peter den ersten Spatenstich für seine große Vision: eine russische Handeslmetropole an der Ostsee, gebaut nach europäischen Vorbildern. Die Menschen strömen zuhauf in das unwirtliche Stück Land, insbesondere aus Europa, denn die Russen stehen ihrem reformierenden Zaren skeptisch, gar feindlich gegenüber. Doch das Fieber der Erneuerung greift um sich, und St. Petersburg wächst und gedeiht - allerdings nicht ohne zahlreiche Verluste.

"Die Stadt des Zaren" ist untertitelt mit Der große Sankt-Petersburg-Roman; und dem wird dieses Buch auch gerecht. Wir begleiten die Stadt und ihre Bewohner vom ersten Spatenstich 1703 bis zur Ausrufung der neuen Hauptstadt 1712. So lebendig wie bei Frau Sahler wurde Stadtgeschichte wahrscheinlich noch nie geschrieben. Hervorragend recherchierte Fakten, die Materialien aus Tagebüchern, Briefen, Archiven, etc. umfassen, verbinden sich harmonisch mit allerlei fiktiven Handlungssträngen.

In diesen begleiten wir die unterschiedlichsten Bewohner der aufkeimenden Stadt St. Petersburg. Da wäre die deutsche Arztfamilie Albrecht, die auf Geheiß des Zaren von Moskau an die Newa umsiedelt; die Leibeigene Zoja, die um ihre Unabhängigkeit und Freiheit kämpft; die Grafenfamilie Bogdanowitsch, die um die Aufmerksamkeit des Zaren buhlt; der schwedische Kriegsgefangene Erik, der Helena Albrechts große Liebe ist; die italienischen Brüder Matteo und Francesco, die als Architekten am Traum von St. Petersburg mitwirken; und und und. Die Autorin erschafft durch diese erfundenen Figuren ein Sittengemälde, wie es durch reale Personen nicht besser hätte dargestellt werden können. Diese haben im Buch natürlich auch ihren Platz, gerade in Form von Zar Peter, Menschikow, etc. Diese historisch belegten Figuren sind hervorragend ausgearbeitet, man merkt beim Lesen, wie viel Recherche hinter ihren Eigenschaften, Gesprächen und Handlungen steckt.

Das Buch bietet neben literarischer Unterhaltung auf hohem Niveau - Liebe, Freundschaft, Intrigen - insbesondere eines: lehrreiche Einblicke in ein spannendes Kapitel russischer Geschichte. Zar Peter als Person und Herrscher wird detailliert vorgestellt, an Anekdoten über seine Regentschaft mangelt es nicht. Wir erfahren viel über den Großen Nordischen Krieg, die Aufstände im eigenen Volk, das Voranschreiten der Bauarbeiten in St. Petersburg. Unglaublich eigentlich, was die Menschen der Natur da abgetrotzt haben. Das bleibt natürlich nicht ungesühnt - St. Petersburg ist ein visionäres Projekt, verwirklicht durch Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Leibeigene, die durch die Knochenarbeit oft den Tod fanden. Zojas Geschichte war für mich daher auch mit die spannendste, denn das Leben als Leibeigene schildert die Autorin mit solcher Eindringlichkeit, dass es mir manchmal kalt den Rücken hinunter lief. Ja, Peter der Große war zwar ein Vordenker, ein Visionär, er hat den Russen Reformen, Macht und Ansehen gebracht, aber er hat die Menschen dafür auch sterben lassen. Großartig auch die Darstellung der Stadt als Schmelztiegel der Kulturen. Von überall kamen die Menschen, um an diesem Mammutprojekt mitzuwirken, und so entsteht in diesem Sumpfland bereits früh der Eindruck einer multikulturellen Metropole.

Das Buch umfasst viel zu viele Ebenen, Handlungsstränge und Thematiken, um sie in einer Rezension alle gebührend beleuchten zu können. Es sei allerdings festgehalten, dass sich die 500 Seiten mühelos verschlingen lassen, die Spannung an kaum einer Stelle abreißt, auch wenn ich viele Wiederholungen und manchmal etwas hölzerne Dialoge zu bemängeln habe. Jedem, der sich für Russland, St. Petersburg oder einfach eine gut erzählte Geschichte mit histroischem Wert interessiert, lege ich dieses Buch ans Herz. 4 von 5 Sternchen.
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