Rezension zu "Die gute Lady Ducayne" von Mary Elizabeth Braddon
Die Mutter der achtzehnjährigen Bella Rolleston war an einen Schurken geraten, den sie geehelicht hatte und der sich dann aus dem Staub machte und sie mit dem Kind in die Armut sinken ließ. Um ihre Mutter beim täglichen Broterwerb zu unterstützen, sucht sich Bella eine Anstellung als Gesellschafterin, doch ihre Jugend und mangelnde Ausbildung schmälern die Möglichkeiten gewaltig. Als sie wieder einmal bei der Agentur vorbeischaut, trifft sie dort auf eine unglaublich alt aussehende in einen kostbaren Hermelinmantel gehüllte kleine Frau, die sie nach einigen Fragen für einhundert Pfund Jahressalär engagiert. Auf Bella's Frage an die Agenturleiterin, was denn mit ihren Vorgängerinnen geschehen sei, erhält sie nur die kurze Antwort, dass der Gesundheitszustand der Gesellschafterinnen nachgegeben habe.
Die neue Anstellung führt die naive Bella über die Wintermonate ins wärmere Italien, wo die junge Dame trotz des milden angenehmen Klimas zusehends müder und schwächer wird. Seltsame Träume beginnen sie zu plagen und bald nimmt sie winzigkleine Einstichnarben an ihren Armen wahr. Dr. Perravicini, der Leibarzt der sehr alten aber schwerreichen Lady Ducayne, führt diese Narben auf Moskitostiche zurück. Die Schönheit Bella's bleibt nicht unbemerkt und so betritt der junge Arzt Herbert Stafford die Szenerie und deckt Grausames auf...
Mary Elizabeth Braddon (1835-1915) war eine englische Schriftstellerin, welche über 80 Romane schrieb und 1862 mit "Lady Audley's Secret" wohl ihr wichtigstes Werk veröffentlichte. Es wurde unzählige Male für Radio, Film und Bühne adaptiert und gilt als bahnbrechend für die damalige Zeit. 1896 erschien die Kurzgeschichte "Good Lady Ducayne" im Londoner Magazin "The Strand". Ein Jahr später veröffentlichte ihr guter Freund - mit dem sie sich über Jahre hinweg schon über ihre Arbeit unterhielt und Ideen austauschte und eine lebenslange Freundschaft verband - Bram Stoker, im Gegensatz zu Braddon ein Gelegenheitsautor, seinen Roman "Dracula". Die Parallelen, die beide Werke aufweisen, führten zu nicht bestätigten Vermutungen, die beiden Autoren hätten sich wegen des damals leicht aus der Mode gekommenen Vampir-Sujets gemeinsam dieses Themas angenommen. Wer wen wie beeinflusst haben könnte... Spekulation. Während Bram Stoker's "Dracula" seit seinem Erscheinen weltweit nicht mehr in Vergessenheit geraten sollte, verlor sich Braddon's schaurig-stimmige Geschichte bald in den Annalen der Zeit...
Die Kurzgeschichte wird vom "jmb Verlag, Jens Bolm" in Hannover im Rahmen der Reihe "Kabinett der Phantasten" dem deutschen Leser mit einem sehr informativen Nachwort von Heiko Postma präsentiert. Das Büchlein bietet auch einige Illustrationen, die wohl auch damals im Londoner "The Strand" gezeigt wurden. Es ist eine sehr empfehlenswerte Reihe, die kleine Raritäten und Schmuckstücke an gruseligen, schaurigen und unheimlichen Geschichten der Unbekanntheit und Vergessenheit entreißen und dem deutschen Publikum zugänglich machen, welches ohnehin recht stiefmüttlerlich mit interessanten "Gothic Tales" versorgt wird.
Eine sorgfältige Übersetzung sorgt für die Erzeugung einer schaurigen viktorianischen Atmosphäre, in der sich eine Geschichte über lebensverlängernde Maßnahmen näher an der Realität entspinnt... Keine übernatürlichen Wesen sondern damals moderne Medizin. Eine stimmige Variation des Vampirismus-Themas. Die Geschichte ist der Leserschaft von Vampirromanen und anderen schaurigen Kultfiguren durchaus zu empfehlen.