Rezension zu "Der blaue Löwe" von Mary Gentle
Handlung
Ein Archäologe übersetzt die Memoiren eines weiblichen Kompaniehauptmanns, genannt Ash, und schickt diese Bruchstücke nach und nach per Mail an seine Kontaktperson. Zunächst sieht das nach typischen Schilderungen für diese Zeit aus: Ein weiblicher Kompaniehauptmann, der als Söldner zur Zeit des ausklingenden Mittelalters in Burgund seinen Lebensunterhalt verdient. Doch Ash hat seit einem mystischen Ereignis in ihrer Kindheit die besondere Gabe, Stimmen zu hören - und die geben ihr direkt die strategischen Entscheidungen ein, die sie so erfolgreich machen. Als Lohn für ihren Erfolg wird sie vom Kaiser zunächst zwangsverheiratet. Und zwar genau in den Fürsten, der sie eisnt so gedemütigt hatte - und das anscheinend auch nicht vergessen hat.
Darüber hinaus macht die Heirat aus der zuvor unabhängigen Ash ein Teil des Feudalsystems und ist wohl eher eine Bürde als Belohnung. Wie kommt sie da nur wieder heraus? Doch dann taucht die mysteriöse fremde Macht Karthago auf, die in unseren Geschichtsbüchern gar nicht vorkommt. Ausserdem ein Steingolem, der wohl eine Art mittelalterlicher Kampfroboter sein soll. Unter den immer verständnisloseren Antworten seines Kontakts übersetzt der Archäologe weiter und entblättert eine Geschichte, die dem widerspricht, was in unseren Lehrbüchern steht.
Stimmung / Atmosphäre
Es geht hier ziemlich deftig zur Sache. Eines der ersten Kapitel beginnt mit der Vergewaltigung von Ash im Kindesalter. Es wird kein Hehl aus der Frauenfeindlichkeit ihrer Umgebung gemacht, oder aus der alltäglichen Gewalt und einem System, das Menschen als vogelfrei erklärt.
Dennoch ist es nicht unbedingt erotisch oder gewaltverherrlichend gezeichnet, sondern als Schilderung einer düsteren, dreckigen Epoche. Hier auch noch einmal beachten, dass es also für jüngere Leser nicht unbeding geeignet ist. Die magischen oder science-fiction-artigen Elemente sind nicht so mystisch wie in Herr der Ringe, sondern eher bodenständig. Hier gibt es keine Zauberer, die Feuerbälle verschießen, sondern marschierende Steingolems. An vielen Stellen gewinnt man den Eindruck, weniger ein idealisiertes Bild des Mittelalters zu lesen, als mehr eine authentische Geschichtslektion. Nicht nur der Ton des Geschichtsprofessors, der die Memoiren kommentiert, auch die Schilderungen des Alltags wirken authentisch und realistisch. Die Autorin Mary Gentle hat auch einen entsprechenden Hintergrund studiert und bringt ihr Wissen gut zur Geltung.
Bewertung
Wenn man von den expliziten Sex- oder Gewaltdarstellungen absieht, die sicher nicht jedermanns Sache sind, gibt es noch Abzüge für das reichlich offene Ende, das auf den nächsten Teil "Der Aufstieg Karthagos" verweist. Kein Wunder, ist das Buch im englischen Original nämlich ein dicker Schmöker, der für den deutschen Markt in mehrere Bände aufgeteilt wurde. Da ich die weiteren noch nicht gelesen habe, kann ich also keine endgültige Bewertung abgeben. Ansonsten freue ich mich schon auf den zweiten Teil.