Cover des Buches Frankenstein (ISBN: 9783596901876)
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Rezension zu Frankenstein von Mary Shelley

Superspannende Grundidee, leider aber mit viel zu vielen Längen und einer eher unklaren Aussage

von LaLecture vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Superspannende Grundidee, leider aber mit viel zu vielen Längen und einer eher unklaren Aussage

Rezension

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LaLecturevor 6 Jahren


Inhalt


Ein Polarforscher fischt einen schwer kranken Mann aus dem Meer, der ihm eine fantastische Geschichte erzählt. Er, Viktor Frankenstein, war einst ein junger, ambitionierter Wissenschaftler, der einen ganz speziellen Traum hatte: Er wollte künstliches Leben erschaffen. Doch sein Projekt ging gründlich schief und brachte Unheil über sein Leben und das der Menschen, die ihm nahestanden.



Meinung


„Frankenstein“ ist einer dieser Klassiker, von denen ich unglaublich viel gehört hatte, ohne sie gelesen zu haben oder auch nur Genaueres über die Handlung zu wissen.

Daher überraschte mich bereits der Anfang, da das Buch nicht mit der namensgebenden Figur beginnt, sondern mit dem Polarforscher Robert Walton, der zunächst keine Verbindung zu Frankenstein hat. Seine Rolle im Buch besteht daraus, ähnlich wie der junge Frankenstein ein ambitionierter Wissenschaftler mit großen Träumen zu sein, weshalb Frankenstein ihm als Warnung, nicht zu größenwahnsinnig zu werden, seine Geschichte erzählt. Ein interessanter Ansatz, auch wenn sich daran zweifeln lässt, dass es realistisch ist, dass Walton seiner Schwester die gesamte Geschichte in Briefform mitteilt. Aus erzählerischen Gründen ist dieser Ansatz dennoch notwendig.

Als Frankenstein dann endlich beginnt, die Geschichte zu erzählen, die man erwartet hat, zieht diese sich leider von Anfang an ewig hin, im ersten Abschnitt beispielsweise mit der Geschichte, wie seine Eltern sich kennengelernt haben, die ich wirklich nicht so ausführlich gebraucht hätte. Das gesamte Buch besteht aus Momenten, in denen ziemlich viel passiert und die Handlung recht spannend wird, und gefühlt endlosen Abschnitten, in denen bestimmte Details (Landschaften) und Gefühlszustände (Verzweiflung) oder scheinbar weniger wichtige Handlungen (die DeLaceys) endlos breitgetreten werden. Ich habe mich selten bei einem Buch so oft so sehr gelangweilt und lediglich die spannende Grundidee und der Wunsch, zu erfahren, wie es ausgeht, haben mich bei Stangr gehalten.

Viktor Frankenstein ist ein extrem emotionaler Mensch, der viel Wert darauf legt, seine Gefühle in verschiedenen Situationen - besonders den dramatischen - ausführlich zu beschreiben. Das lässt einen beim Lesen einerseits sehr mit ihm mitfühlen, andererseits gingen mir die vielen dramatischen Andeutungen, die er bereits zu der Zeit macht, als er noch seine Kindheit beschreibt, schnell auf die Nerven. Zwischenzeitlich ist er auch viel am Jammern, scheint jedoch auch hauptsächlich in Selbstmitleid zu versinken, statt aktiv zu versuchen, seine Situation zu verbessern. Man versteht, wieso Frankenstein sich selbst bemitleidet und dass er die dramatischen Aspekte seines Lebens immer wieder betont, doch zum Lesen ist das ziemlich anstrengend.
Das fand ich schade, denn eigentlich sind Frankenstein als Figur und seine Entwicklung vom ambitionierten Wissenschaftler zum gebrochenen Mann sehr interessant.

Ein wenig enttäuscht war ich auch davon, dass Frankenstein keine wissenschaftlichen Details seiner Arbeit erklärt. Einerseits ergibt das Sinn, da er ja auf keinen Fall will, dass jemals jemand seine Versuche wiederholt, andererseits wirkte das auch wie eine etwas zu leichte Ausrede für die Autorin, sich keine Details ausdenken zu müssen.


Nach anfänglichen großen Startschwierigkeiten mit dem Buch wurde es dann endlich interessant, als das „Monster“ geboren war und selbst zu Wort kam. Denn die Grundidee des Buches ist extrem interessant. Der Roman wirft Fragen auf wie „Was macht ein Monster aus?“, „Wird man böse geboren oder machen einen die Umstände böse?“, „Ist an jemandes schlechten Taten nur die Person selbst oder auch indirekt ihr Umfeld schuld?“ und „Kann und sollte man Mitleid mit jemandem haben, der einen Mord begangen hat?“ und das anhand sehr dramatischer und emotionaler Beispiele, die einen beim Lesen mitnehmen.
Dabei ist besonders spannend, dass man mit Frankenstein und seinem „Monster“ zwei sehr verschiedene Perspektiven auf die Dinge hat und am Ende für sich selbst entscheiden muss, wem man Glauben schenkt und wie man zu dem Konflikt steht.

Mary Shelley hat sich auch enorm viel Mühe mit der Ausarbeitung der Figur des „Monsters“ gegeben und beschreibt in vielen Details, wie dieses zunächst völlig unbescholtene Wesen lernt, sich überhaupt in der Welt zurechtzufinden, wie es Feuer machen, sprechen und lesen lernt und wie es beginnt, abstrakte Konzepte der Menschheit zu verstehen und sich nach Zuneigung zu sehnen. Die Entwicklung von einem quasi unbeschriebenen Blatt zu dem Monster, von dem man gehört hat, und die Idee, dass gerade das neuerworbene Wissen über Menschen und ihre Grausamkeit das Wesen traurig macht, ist wirklich spannend.
Generell lassen sich viele von Shelleys Ideen auch auf reale Menschen übertragen, was die Fragen, die das Buch aufwirft, umso interessanter macht.


Doch leider hat auch das „Monster“ eine unglaublich langatmige Art, seine Geschichte zu erzählen, und harrt für mein Gefühl viel zu lange bei Details aus, die nicht nötig gewesen wären, um seine Geschichte zu verstehen. Dabei fällt vor allem der Konflikt mit der Erzählweise auf, da es eigentlich zu Frankenstein sagt, dass es nicht viel Zeit hätte, seine Geschichte zu erzählen, und ihm außerdem viele Dinge erzählt, die er schon weiß.

Auch mit der Umsetzung der interessanten Grundidee hatte ich meine Probleme, denn während die Entwicklung zum Monster interessant ist, wird man doch irgendwann das Gefühl nicht los, dass es nur Mitleid wecken will, um anschließend Morde und Morddrohungen zu entschuldigen. Seine Begründungen für seine Taten und Einstellungen sind meiner Meinung nach etwas zu kurz und einfach gedacht und gegen Ende wirken seine Handlungen auch bei allem Mitleid und Verständnis nicht mehr nachvollziehbar. Bezogen auf die Übertragbarkeit der Ideen auf das echte Leben kommt dadurch auch die Frage auf, was genau Shelley einem mit dem Roman jetzt sagen wollte.



Fazit

„Frankenstein“ basiert auf einer extrem faszinierenden Grundidee, die spannende Fragen zu den Themen Schuld, Mitleid und Toleranz aufwirft und anhand eines sehr emotionalen Beispiels anschaulich zeigt. Leider sind die Figuren eher unsympathisch und der Roman hat viele unnötige Längen, durch die ich mich zeitweise ziemlich quälen musste.
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