Rezension zu "Du springst, ich falle" von Maryam Madjidi
Inhalt/ Klappentext:
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Ich habe zwei Freundinnen, Neguine & Najla, deren Vater 1979 nach dem Sturz des Schahs & den ersten, wenn auch noch leisen, Vorbereitungen zur Errichtung des iranischen Gottesstaates als junger Mann nach Paris ins Exil ging, das Ruholla Musawi Khomenei gerade unter großem Pressewirbel Richtung Teheran verlassen hatte.
So wie er fanden viele Gegner der islamischen Revolution im Iran nach 1979 in Europa Asyl. Zu ihnen gehört auch die Familie von Maryam Madjidi, der Autorin des Romans Du springst, ich falle , deren Eltern als Anhänger der Volksmudschahedin (millitante, iran. Freiheitsbewegung mit marxist. Ideologie, ab 1981 verboten, viele Führungsmitglieder gingen nach Frankreich ins Exil) im neuen Iran mit dem Leben bedroht waren & deshalb 1985 das Land verließen & in Frankreich als politische Flüchtlinge anerkannt wurden. Anders als meine Freundinnen oder deren Vater war Madjidi aber ein Kind als sie erstmals französischen Boden betrat.
In ihrem autobiografisch inspiriertem Debüt, das im französischen Original Marx et la poupée (Marx & die Puppe) heißt, erzählt Madjidi von ihrer Kindheit im Iran, in den sie erst 2003 als Erwachsene zurückkehrte. In dem kommunistischen Haushalt, gehörten nicht nur die geistigen Vordenker wie Marx & Guevara zum Lektürekanon, sondern auch das Model des Gemeinschaftseigentumes wurde im Kinderzimmer praktiziert.
Der deutsche Titel verweist auf ein traumatisches Erlebnis ihrer hochschwangeren Mutter, die sich & ihr ungeborenes Kind nur durch einen lebensgefährlichen Sprung aus dem Fenster vor einem durch die Lehrräume der Universität Teheran ziehenden Erschießungskommando der sogenannten religiösen Wächter in Sicherheit zu bringen glaubte. Immer wieder kehrt die Ich-Erzählerin gedanklich zu diesem auch für sie Seins entscheidenen Erlebnis zurück, pendelnd zwischen Vorwurf & Anerkennung. Meint in diesem pränatalen Moment den Grund all ihrer Ängste auszumachen.
Wie bei vielen Migranten, die jung ihre erste Heimat verlassen mussten, sich ihren Platz im Exil schmerzhaft erobern mussten, wird das Geburtsland oft zu einem verklärtem Sehnsuchtsort. So ist es auch hier. Das kleine Mädchen verstummt in der neuen Heimat erst einmal für einige Monate, wird zur Beobachterin der neuen, fremden Welt, in der auch ihre so klugen & eloquenten Eltern mühsam um Worte ringen. um dann als Urahnin Rumis & Hafiz zurück zu kehren.
Die Erzählung reiht episodenhaft Erinnerungsstücke aneinander, schreibt gegen jede Chronologie. Die gebrochene Kinderbiographie, die Erinnerungen an die über alles geliebte, aber zurückgelassene Großmutter, das Bemühen sich über die neue Worte das neue Land zu erobern, die jugendliche Phase der „Persianisierung“, die Reise im Jahr 2003 als erwachsene Frau in einen mundtoten Iran, der jedwede Hoffnung auf Demokratisierung verloren glaubt (die unter Präsident Chatami einsetzende Liberalisierung wurde vom Wächterrat blockiert) & deren Bewohner sich ins Private zurückziehen, eine leidenschaftliche Liebesaffaire mit einem Iraner & die Rückkehr nach Frankreich.
Madjidi wie die Erzählerin ist zweisprachig aufgewachsen & obwohl in ihrem persischen Elternhaus Marx gelesen wurde, ist sie doch eine Ahnin Firdausis (940-1020, Autor des pers. Nationalepos, Schāhnāme, geschrieben in 60.000 Versen) , Saadi ( 1210-1292, Dichter & Mystiker, seine wichtigsten Werke sind Bustān & Golestān) & Hafiz (1315-1390, Autor des Diwan, gr. Teile geschrieben in der pers. Gedichtform Ghasel). Auch wenn die meisten Leser meine Theorie, dass drei vor über 1000 Jahren verstorbene Dichter vielleicht noch die Sprache einer heute knapp 40-Jährigen, belesenen Autorin beeinflussen können, aber es doch eher unwahrscheinlich ist, dass ein junges Mädchen in Metaphern spricht, schließlich sprechen deutsche Teenager auch nicht wie Walter von der Vogelweide, dem kann ich nur entgegenhalten: Doch definitiv! Beide Werke sind kein verstaubtes Kulturgut, sondern werden nicht nur heute noch gelesen, sondern haben die Art zu denken & zu sprechen nachhaltig beeinflusst. Das Problem ist eher die Übersetzung des Persischen in eine Fremdsprache, weil es sehr viel Wissen um die Etymologie der Worte bedarf, damit es nicht zu einer verwirrenden Wort für Wort Übersetzung kommt.
Zameen khordam, der Titel meiner Rezension, der auch ein passender möglicher Titel für die persische Ausgabe des Romans wäre, heißt übrigens: Ich habe den Boden gegessen. & meint nichts Anderes als, dass man gestürzt, zu Boden gefallen ist.
INHALT
In diesem autobiographischen Debüt erzählt Maryam Madjidi von ihrer Kindheit im Iran, vom Kampf der Eltern für den Kommunismus und davon, wie sie ihr Spielzeug an die Kinder im Viertel verschenken musste. Heimlich vergrub sie die Lieblingssachen im Garten und steckte sie später in den Koffer für Frankreich. Hier sollte das neue Leben anfangen – ohne Kampf, ohne Gefängnis. Aber die kleine Maryam fühlt sich fremd, weil alles fehlt: die eigene Sprache, echte Freunde, die geliebte Großmutter. In Paris sind die Hände des Vaters plötzlich nutzlos, die Augen der Mutter müde. Als junge Frau fährt Maryam nach Teheran zurück, verliebt sich und bricht mit allem.
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